Nordland. Hamburg 2059 - Freiheit

Roman (Dystopie), Nordland 1

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783862825493
Sprache: Deutsch
Umfang: 672 S., 1 Illustr., 1 Karte
Format (T/L/B): 5 x 21 x 13.5 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Er lenkte die Limousine um die nur scheinbar harmlosen Pfützen herum. Im Schanzenviertel durfte man nichts und niemandem trauen. Hamburg im Jahr 2059. Die Bundesrepublik ist Geschichte. Die nördlichen Bundesländer haben sich zu Nordland zusammengeschlossen, einem Staat, in dem allein das Geld regiert. Politiker, Richter, Frauen - in Nordlands Hauptstadt Hamburg ist alles käuflich. Als ein Mann aus dem heruntergekommenen Schanzenviertel für ein Verbrechen hingerichtet wird, das er nicht begangen hat, regt sich ein lang vergessener Widerstand. Lillith, die zu den reichen Birds gehört, sympathisiert mit den Rebellen. Sie ahnt, dass mehr hinter dem Aufstand steckt. Aber Nordland ist ein gefährlicher Ort für Frauen, die das bestehende System hinterfragen. Die Männer an der Spitze räumen jeden aus dem Weg, der das fragile Gleichgewicht des Landes bedroht. Und Lilliths Vater ist nicht dafür bekannt, Ausnahmen zu machen

Autorenportrait

Gabriele Albers ist Journalistin und Volkswirtin und veröffentlichte unter anderem bei Capital und der Financial Times Deutschland. In ihren Geschichten thematisiert sie gefährliche Entwicklungen unserer Zeit, indem sie deren Folgen in einer fiktiven Zukunft beschreibt. Ihre persönliche Zeitreisemaschine würde sie rund 500 Jahre in die Zukunft katapultieren, obwohl sie sich nicht sicher ist, dass es dann noch Menschen gibt. Nordland ist ihr erster Roman.

Leseprobe

- I - Ratten Manche Dinge änderten sich nie. Egal, wie sehr sich die Welt verändert hatte. Die dunkle Limousine rauschte durchs Schanzenviertel, als wären Geschwindigkeitsbegrenzungen nur für die anderen Verkehrsteilnehmer erdacht worden. Es regnete und auf der Straße standen Pfützen. Die dunklen Spiegel verbargen tiefe Löcher unter ihrer wässrigen Oberfläche. Um einige Schlaglöcher lenkte das selbststeuernde Auto herum. Andere waren nicht in der aktuellen Navigationssoftware enthalten: Die Limousine setzte mehrfach auf und dem Mann auf dem Fahrersitz schlug es heftig in den Rücken. Er übernahm die Kontrolle und drückte das Gaspedal herunter. In diesem Viertel waren er und seinesgleichen schon vor 30 Jahren nicht willkommen gewesen. In wildem Slalom lenkte er die Limousine um die nur scheinbar harmlosen Pfützen herum. In dieser Gegend durfte man nichts und niemandem trauen. Die Scheinwerfer glitten über beschmierte Fassaden, von denen der Putz in langen Fladen herunterblätterte. Das Licht huschte über mit Brettern verrammelte Fensterhöhlen und über tiefgelegene Hauseingänge, in deren Schwärze sich die Schatten zurückzogen, wenn ihnen das Licht zu nahe kam. Jenseits des Lichtkegels der Limousine versank alles im schwarzen Regen. Männer, die an die Dunkelheit gewöhnt waren, warteten, bis das Auto an ihnen vorbei war. Dann folgten sie der Limousine, angezogen von dem Scheinwerferlicht, das immer schwächer wurde. Aber da der Fahrer grundsätzlich den Blick zurück verweigerte, sah er sie nicht. Der Fahrer schlug den Cordkragen seiner Barbour-Jacke hoch. Etwas stimmte nicht mit der Heizung. Den Griff nach dem Flachmann hatte sein Körper fast so automatisiert wie Herzschlag und Atem. Dabei übersah er das nächste Schlagloch. Der Schnaps lief dem Mann über Wangen und Hände. Die Scheibenwischer blieben auf halber Strecke stehen und verweigerten den Dienst. Regentropfen schlugen dicht an dicht auf die Windschutzscheibe. Der Fahrer schlug aufs Lenkrad, drückte auf Tasten herum, kontrollierte die Energieanzeige, die eine fast volle Batterie anzeigte. Ein letzter Sprung nach vorne, dann blieb das Auto stehen. Die Scheinwerfer dimmten herunter. Die Notbeleuchtung reichte zwei Meter weit. Straßenlaternen gab es in diesem Viertel nicht. Die Männer, alle in schwarz, ließen sich Zeit. Der Fahrer stieg aus, ging um seine Limousine herum, verpasste ihr einen Fußtritt. Verdammte Scheißkarre, rief er und: Vidja, stell eine Verbindung her mit - Weiter kam er nicht. Die Männer manifestierten sich aus dem Dunkel der Schatten. Ihr Opfer sprang zurück in sein Auto, wollte es von innen verriegeln, aber nicht mal dafür reichte der Strom. Notfall! Hilfe! Vidja, stell sofort -, schrie er, bevor ihn die Faust mitten ins Gesicht traf. Die Männer zogen ihn aus dem Auto heraus. Hilfe, rief er nochmals. Seine Stimme klang nasal, fast weinerlich. Was wollt ihr? Einer der Angreifer lachte. Es klang wie das Schleifen einer schlecht geölten Kette. Alles! Alles, was ihr scheiß Birds habt. Ich, hier, meine Brieftasche und, und - Ein Schlag in die Magengrube verhinderte, dass er weiter verhandelte. Die Männer um ihn herum hatten die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Sie hatten Stöcke dabei und Messer. Aber die brauchten sie nicht, um ihn zusammenzuschlagen. Er lag auf dem Boden, zusammengekrümmt. Das Licht entfernte sich, mehrere Männer schoben die tonnenschwere Limousine davon. Einer der Angreifer zog ihm die Jacke vom Leib, dann die Schuhe und den Anzug. Ein weiterer Tritt in die Seite. Er wand sich, versuchte mit letzter Kraft davonzukriechen, aber der Fuß des anderen genügte, ihn an Ort und Stelle zu halten, während er ihm die goldenen Knöpfe aus den Manschetten riss. Der Mann auf dem Boden versuchte etwas zu sagen, ein letztes Mal zu verhandeln, aber statt Worten quoll Blut aus seinem Mund. Ein Messer näherte sich seinem Gesicht. Er wehrte sich, bäumte sich auf, ein Schlag aufs Ohr setzte ihn außer Gefecht, aber er blieb bei Bewusstsein. Alles drehte sich um ihn und das Messer, das sich seinen Augen näherte, wurde zu hundert Messern. Die Frau, die alles aus der Ferne verfolgte, konnte nicht helfen. Sie versuchte, die Polizei zu rufen, aber niemand reagierte auf ihren Anruf. Sie nahm den Ohrring ab, der den letzten Schrei des Mannes zu ihr trug und schloss die Augen. [] Pakt Die Ohrstecker ihrer Vidja filterten einen Teil des Hubschrauberlärms heraus. Aber eben nur einen Teil. Lilliths Kopf fühlte sich an, als ob er von den Rotorblättern in Stücke geschnitten wurde. Immer und immer wieder. Duhnkreihs Emotionen gestern Abend hatten sie ausgelaugt. Wie gerne wäre sie heute auf ihrem Zimmer geblieben, um wieder zu Kräften zu kommen. Davide hatte darauf bestanden, dass sie ihn zur Eröffnung des neuen Methangasspeichers begleitete. Aus dem Fenster des Helikopters sah sie die grünen Rasenflächen und die goldenen Beete voller Herbstastern. Die Weitläufigkeit des Parks half gegen die Enge im Kopf, aber nicht gegen den Rotorenlärm. Sie drückte auf das Pflaster an ihrem Unterarm und erhöhte die Schmerzmitteldosis. Es war ihr ein Rätsel, warum ihr Vater die alten kerosingetriebenen Hubschrauber bevorzugte. Die viel angenehmer zu fliegenden und deutlich leiseren Elektrokopter stürzten genauso selten ab. Das Positive an diesem Ausflug ins südliche Nordland: Sie hatte ihren Vater eine halbe Stunde lang ganz für sich. Niemand würde heute in ihre Mittagsrunde hineinplatzen. Titus, der persönliche Assistent ihres Vaters, saß vorne beim Piloten und war in die Vorbereitungen für die bevorstehende Veranstaltung vertieft. Die Leibwächter beobachteten den Luftraum um sie herum, und alle anderen Störenfriede waren zu Hause geblieben. Sie würde mit ihm über Duhnkreih reden können. Der Bürgerschaftspräsident hatte die Nacht nicht überlebt und Lillith quälte sich mit der Frage nach dem warum. Sie wünschte sich überzeugende Argumente von ihrem Vater, Gründe, die ihr eigenes Gewissen erleichterten. Lillith wünschte sich Absolution. Sie tippte mit ihren Fingerkuppen auf die Armlehnen, beobachtete abwechselnd ihren in Geschäftszahlen vertieften Vater und die Welt auf der anderen Seite des Fensters. In der Ferne hingen Zeppeline in der Luft und sorgten für die problemlose Übertragung der Vidja-Daten. Unter ihr wichen die manikürten Rasenflächen einer grau-braunen Landschaft aus ärmlichen Behausungen, verlassenen Straßen und leeren Plätzen. Hier irgendwo musste der Überfall passiert sein. Ihr Vater schien sie heute ignorieren zu wollen. Sie presste die Lippen zusammen. Es war immer das Gleiche. Sie hatte wichtige Dinge mit ihm zu besprechen, und er hatte keine Zeit. Dabei hatte er selbst dieses Mittagsgespräch ins Leben gerufen, als er merkte, welches Potenzial dank ihrer Hochsensibilität in ihr steckte. Seit ihrem 16. Geburtstag half sie ihm bei Verhandlungen. Im Gegenzug brachte Davide ihr alles bei, was sie über das Civetta-Imperium wissen musste. In den vergangenen neun Jahren hatte sie die Grundlagen der Betriebswirtschaft, der Energiewirtschaft und des Vermögensmanagements verinnerlicht, Schwedisch, Russisch und Chinesisch gelernt und jede Menge Praxiserfahrung in Taktik und Strategie gesammelt. Sie war die perfekte Nachfolgerin. Leider sah das Rollenverständnis Nordlands so eine Position für Frauen nicht vor. Stattdessen schwebte das drohende Eheschwert nun auch über ihr. Sie verdrängte den Gedanken daran. Zwei Jahre, hatte ihr Vater gestern gesagt. In zwei Jahren konnte noch viel passieren. Unter ihnen glitzerte die Elbe im Sonnenlicht. Die Reste der Köhlbrandbrücke ragten schwarz in den Himmel. Zu Füßen der Ruine steuerte ein Zollboot langsam durch das flache Gewässer. Bei Ebbe kam der Verkehr in diesem Teil des Hafens fast vollständig zum Erliegen. Nur Schiffe mit wenig Tiefgang hatten noch genug Wasser unter dem Kiel. Endlich aktivierte ihr Vater den abhörsicheren Kommunikationskanal seiner Vidja. Also Lillith, was beschäftigt uns heu...

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