Beschreibung
Auf diesem Pfad durch blühende Wildblumen Die Gedichte von Meier sind in der ganzen Welt verortet und für die ganze Welt geschrieben, möchten in ihr widerhallen und auf Resonanz stoßen, übersetzt werden um gehört zu werden. Meier ist eine chinesische Dichterin, lässt sich aber nicht darauf beschränken, sondern ist vielmehr eine Welt- und Weltendichterin, die über und zwischen Sprach-, Zeit- und Landesgrenzen hinweg schreibt und sich so ihren ganz eigenen Frei- und Zwischenraum erschreibt. Auch wenn Meier ihre Gedichte auf Chinesisch verfasst, sind es zugleich chinesische und sehr unchinesische Gedichte in dem Sinne, dass Meier sich auf die lange Tradition der chinesischen Dichtung bezieht, aber zugleich mit ihr bricht und in ihrem Schreiben auch sehr westlich geprägt und von amerikanischer oder europäischer Literatur beeinflusst ist. Ihre Gedichte umspannen nicht nur geografisch immense Distanzen, ausgehend von China, über Tibet, bis nach Peru oder Afrika, sondern auch zeitlich. Zeitlich zum einen, was die Entstehungszeit der Gedichte anbelangt, die in diesem Gedichtband versammelt sind und teilweise zwischen 1989 bis 2016 datiert sind. Das ist ein großer Zeitabschnitt, ein Leben, mein Leben zum Beispiel, wenn man so möchte, bin ich doch 1989 geboren. Zum anderen reist Meier in ihren Gedichten mitunter 700 Millionen Jahre zurück. Die donnernde Brandung der Vergangenheit hinterließ Spuren im Stein In ihren Gedichten durchlebt sie die Vergangenheit und Geschichte neu und macht sie damit als etwas sehr Gegenwärtiges unmittelbar erfahrbar. So, wie sie in ihren Gedichten geologische Schichten erkundet und in die Tiefe der Erde und Vergangenheit hinab steigt, sind auch ihre Gedichte selbst ungemein vielschichtig und eröffnen große Räume in denen die einzelnen Worte und Bilder noch lange nachhallen können. Der zurück gerichtete Blick nimmt sowohl die eigenen Ahnen in den Fokus, wie die Eltern oder Onkel, als auch literarische Ahnen, von Södergran, Baudelaire, Zwetajewa, Ivan Goll, bis Bly. Auch mythologischen oder historischen Persönlichkeiten wie Achilles oder Kleopatra widmet sie Gedichte. In ihren Gedichten macht Meier die Welt als ebenso zerbrechlich wie unbarmherzig erfahrbar. Es gibt Tauben in dieser Welt, deren Knochen gerade durch ihre Fragilität etwas hörbar werden lassen: Fragmente der Zeit kratzen an meinen Füßen Meine hohlen Knochen Werfen das Geräusch Meines Fluges als Echo zurück Und dann gibt es Piranhas: Du beißt einen Stahlhaken ab, Beißt Finger ab Und führst eine Armee an, Die einen ganzen Ochsen verschlingt Natur wird in ihrer Unbarmherzigkeit erfasst, aber trotzdem als etwas Wunderbares erfahren: In der Ferne Eilt eine Gruppe fliegender Fische Ihrem Traum über den Ozean entgegen Als Rückzugsort- und Sehnsuchtsort taucht immer wieder die unberührte Natur des Quingxihu Sees, oder die Karsthöhle der Zwillingsflüsse auf. Natur ist dabei anthropomorph, wird personifiziert und als direktes Gegenüber angesprochen, wie beispielsweise Shuanghe. Die Shuanghe-Höhle ist die längste Höhle Asiens und Meier nimmt uns in ihren Gedichten wirklich hinab in diese andere Welt, in der Stein wächst und zu Blumen aufspringt. Manchmal vergisst der Stein die Außenwelt, Wird so luftig wie flauschige Baumwolle, Kräuselt sich mit Zärtlichkeit, Reist durch sture Zeit Doch Meier lässt sich nicht allein als Naturdichterin abtun, sie nimmt auch Städte in den Fokus, schreibt über Las Vegas oder Guiyang ebenso, wie über Jerusalem. Ihre Gedichte sind vor allem eines: der Welt zugewandt. Und fast hat man den Eindruck, sie könnte wirklich alles in Gedichte fassen, ganz gleich ob das jetzt die Finanzkrise ist, Geschäftsverhandlungen oder das Inter- net. Ich habe die Gedichte von Meier nicht direkt aus dem Chinesischen, sondern aus dem Englischen ins Deutsche übertragen. Es ist mir ein Anliegen, mit meiner Übersetzung auf eine unheimlich starke Frauenstimme und Dichterin aufmerksam zu machen, die Ihresgleichen sucht. Im Übersetzen musste ich immer wieder kurze Atempausen zwischen den einzelnen Gedichten einlegen, weil es so starke Gedichte sind. Gedichte, die einen mitunter packen und umwerfen. Meier übersetzen zu dürfen war für mich eine körperliche Erfahrung, als Übersetzerin bin ich weit über meine eigenen Grenzen als Dichterin hinaus gegangen. Das ist das Wunderbare und Schreckliche am Übersetzen. Ich habe Gedichte übersetzt, die ich so nie schreiben können möchte. Ihr Gedicht über den Tod des eigenen Kindes bei oder kurz nach der Geburt beispielsweise ist so sacht und liebevoll, dass einem die Stimme dabei versagt und man es nur still für sich lesen kann: Deine dunkelbraunen Augen und feingliedrigen Hände Waren Lampen, um auf Wiedersehen zu sagen in dieser dunklen Nacht Die Stärke der Lyrik von Meier liegt in ihrer gleichzeitigen Zerbrechlichkeit und Kraft. Ihre Gedichte können sowohl Taube, als auch Piranha sein und einem tosenden Vulkanausbruch gleichen: Lava brach hervor Das Schloss wurde zum Drachenmaul Ein flammender Ozean Brach hervor um am Himmel zu kratzen In allem nähert sie sich aber sehr vorsichtig dem zu Beschreibenden und zeigt sich sehr einfühlsam: Auf deiner verwitterten Wange hinterlasse ich zitternde Fingerabdrücke Meines jetzigen Lebens Astrid Nischkauer
Autorenportrait
Meier ist das Pseudonym von Gao Changmey. Sie wurde 1968 in Huai'an, Jiangsu, geboren. 1986 begann sie damit, Gedichte in zahlreichen Anthologien zu veröffentlichen. Mit ihrem 2013 veröffentlichten Gedichtband "Gewicht des Schwammes" gelang ihr der Durchbruch und sie wurde berühmt. Weitere Gedichtbände von ihr sind "Ich und Du" (2014), "Die Zwölf" (2016) und "Einsames Treffen". 2014 gewann sie den "Annual ten Poets" Wettbewerb der Zeitschrift "Poet's Digest" und im selben Jahr wurde ihr in Peru der Ehrendoktortitel der Literatur der "Academy of World Art and Culture" verliehen. Des Weiteren wurde sie mit dem "Outstanding Poetry Award" in Taiwan ausgezeichnet. Meier lebt in Beijing.