Brunnentore

Roman, Epik 138

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783863563998
Sprache: Deutsch
Umfang: 320 S.
Format (T/L/B): 2.8 x 20.1 x 14.2 cm
Einband: Englische Broschur

Beschreibung

Im äußersten Winkel des Obstgartens lag ein Wasserloch, das nie austrocknete, dessen Gewässer nicht überflossen. Der Großvater nannte es "blinden Brunnen", der Vater "Tümpel", die Mutter mit leisem Zungenschlag "Weiher". Für uns Buben war es das Brunnentor in rätselhafte Gründe. Mein kleiner Bruder hatte den Namen ausgebrütet: Brunnentor. Jener runde Teich war beschirmt von Erlen und Eschen. Und war umrahmt von Dotterblumen. Von denen die Bardócz néni behauptete, sie schützten vor Gespenstern und Kobolden. Vielleicht wären sie sogar nützlich gegen Hexen. Dabei schmeckten sie nur bitter. Früheste Erinnerungen, die herbeigaukeln und geschuldet sind dem vergrübelten Spürsinn eines Buben. Mir. Der ich noch nicht lesen und schreiben konnte. Doch bereits Ungarisch sprach, damals, dort, als wir wenige Jahre im Szeklerland lebten, in Szentkeresztbánya. Vermutlich war es so, wie ich es niederschreibe. Doch denkbar: einiges anders. Aus den zerfransten Bildern der Vergangenheit schälen sich Begebenheiten, die Profil und Kontur begehren als das Erzählbare. Das alles, so und anders, war überdacht von einer Zeit, die den Jahren viel "Unordnung und frühes Leid" bescherte, damals am Brunnentor der Kindheit. Eginald Schlattners Romane, die in ihrer Gesamtheit nahezu ein Jahrhundertpanorama der deutschen Ethnie in Rumänien aufrollen, sind - ausgenommen Das Klavier im Nebel - alle autofiktional gehalten. So auch das vorliegende Buch mit dem änigmatischen Titel Brunnentore. Hier verhandelt der Autor seine Kindheit, die er im Vorschulalter in einer ungarisch geprägten Region von Siebenbürgen, im sogenannten Szeklerland, verbracht hat, wo viele Weichen für sein späteres Welt- und Menschenbild gestellt wurden. Eltern, Großfamilie und Freunde, Verwandte und Nachbarn, Arbeiter und Beamte der lokalen Eisenwerke, Dienstboten, Gassenjungen und angehimmelte Mädchen sowie vor allem der zweieinhalb Jahre jüngere Bruder Kurtfelix bevölkern und beleben den bunten Alltag, den der Autor anhand von Erinnerungen und Familienfotos nachzeichnet und literarisch gestaltet. Bestechend ist dabei die kindliche Optik des Ich-Erzählers, der nicht nur sein unmittelbares Umfeld in Szentkeresztbánya oder zu Besuch bei den Großeltern in Hermannstadt beziehungsweise auf Sommerfrische bei den Großtanten in Freck, sondern letztlich auch die historischen Brüche und Umbrüche jener Zeit anders wahrnimmt als die Erwachsenen, etwa wenn es um die staatliche Zugehörigkeit Transsilvaniens oder den aufkommenden Nationalsozialismus geht, und mit seinen naiven Beobachtungen und Fragen das politische Geschehen ad absurdum führt. Zeitlich nämlich fällt die Handlung in die späten 30er-Jahre des vorigen Jahrhunderts und endet mit dem Wiener Schiedsspruch 1940, als Nordsiebenbürgen von dem Territorium des Königreichs Rumänien abgetrennt und Reichsungarn angegliedert wurde und die Eltern, die für Rumänien optiert hatten, mit den Kindern nach Kronstadt in Südsiebenbürgen zogen. Damit schließt Brunnentore die letzte autofiktionale "Lücke", da Eginald Schlattner - nach den Romanen Der geköpfte Hahn, Rote Handschuhe, Wasserzeichen, Drachenköpfe und Schattenspiele toter Mädchen - nun laut eigenem Bekunden seine komplette Vita in Prosa gegossen und literarisch abgeschlossen hat.

Autorenportrait

Eginald Schlattner, geboren 1933 in Arad/Rumänien, ist evangelischer Pfarrer und Schriftsteller. Er betreut seit 1991 als Gefängnisseelsorger Straftäter verschiedener Konfession in den Haftanstalten des Landes. Ver- urteilt in den 1950er-Jahren als Student in einem politischen Prozess, arbeitete er nach der Entlassung erst als Ziegelbrenner, dann bei einer Staatsfarm und beim Bahnbau, ehe er 1969 das Studium der Hydrologie abschließen durfte. Vier Jahre später sagte er dem Ingenieurberuf ab und studierte Theologie. Nach dem blutigen Ende der Diktatur 1989 erschienen zwischen 1998 und 2005 die Romane Der geköpfte Hahn, Rote Handschuhe und Das Klavier im Nebel (Zsolnay Verlag, Wien). Vielfache Übersetzungen, u. a. ins Rumänische, Spanische, Portugiesische, Russische (auch als Online-Version), Holländische, Japanische (in Vorbereitung) und Verfilmungen. Der Roman Rote Handschuhe, der die zwei Jahre Zellenhaft bei der Securitate in Stalinstadt (heute Kronstadt/Brasov) thematisiert, figuriert unter den hundert besten in deutscher Sprache geschriebenen Büchern 1999-2001 (Goethe-Institut, Inter Nationes). Weitere Publikationen: Mein Nachbar, der König und Odem (Schiller Verlag, Hermannstadt/Sibiu, 2013), Wasserzeichen (2018, 2. Auflage 2020 mit dem Untertitel Ersonnene Chronik), "Gott weiß mich hier". Radu Carp im Gespräch mit Eginald Schlattner (2020), Drachenköpfe (2021) und Schattenspiele toter Mädchen (2022), die letzten vier im Pop Verlag, Ludwigsburg. Der Autor lebt auf dem Pfarrhof in Rothberg/Rosia, Siebenbürgen.