Spiegelschriften - Erzählungen und Berichte vom Lago Maggiore

Band 1 Italien

Auch erhältlich als:
28,00 €
(inkl. MwSt.)
In den Warenkorb

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783866383920
Sprache: Deutsch
Umfang: 400 S.
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Der Erzähler und Germanist Kretschmer hat zwei höchst unterhaltende Bände zusammengestellt und mit kommentierenden, einleitenden Texten versehen - und dabei zwei seiner Leidenschaften und Expertisen verbunden: Er hat eine Sammlung von 50 literarischen Texten zusammengetragen, die am Lago Maggiore entstanden sind oder hier angesiedelt sind - wenn auch zwei, drei ihrer Schöpfer in ihrer bewegten Phantasie am See waren. - Ernst Kretschmer begleitet seine Entdeckungen um das Schweizer wie um das Italiensiche Ufer herum mit leichthändigen, doch hintergrund-reichen Essays über seine 22 italienischen und 28 schweizer Fundstücke. Er bietet damit einen ganz außergewöhnlichen Reise-Führer in die Region des Langen Sees und erschließt uns als Reise-Begleiter die Geschichte, Kultur, Persönlichkeiten und Lebenswelt rund um den Lago Maggiore. Die Dichterinnen und Erzähler der zwei Bände stammen aus verschiedensten Ländern, von den Franzosen Hippolyte Taine und Stendhal, dem Amerikaner Ernest Hemingway, dem Schweden Lars Gustafsson, der Schweizerin Johanna Spyri, den Italienern Dario Fo und Piero Chiara bis hin zu zahlreichen deutschen Autoren wie Heinrich von Kleist, Erich Kästner, Gerhart Hauptmann und Jean Paul wird der Lago Maggiore erzählt. Damit spiegeln die 'Spiegelschriften' zugleich die weltweite Attraktivität des Sees und die vielfältigen Anregungen der Region, die vom 18. Jahrhundert bis heute ungebrochenen Reiz haben - als Destination wie als Lektüre.

Leseprobe

Vorwort von Ernst Kretschmer: Spiegelschriften heißt die Sammlung dieser fünfzig Texte über den Lago Maggiore. Das Bild geht von der Vorstellung aus, dass der See ihre Autoren widerspiegelt, die Eigenheiten ihrer Wahrnehmung, Phantasie und Sprache wie auch die Besonderheiten der Umstände und Zeiten, in denen sie ihm begegneten. Wie es Spiegelungen so eigen ist, sind sie im Verhältnis zur gespiegelten Wirklichkeit Illusionen, die immer verkehrt bleiben. Da sich ein See auch ständig bewegt und niemals der gleiche bleibt und der Lago Maggiore bisweilen, wie einige der Autoren berichten, durchaus wüten kann, bietet sich auch dieser Aspekt des Bildes an, um die Vielfalt der Spiegelungen anzudeuten, die sich in den Texten zeigt. Die älteste der Spiegelschriften stammt aus dem Jahr 1682, die jüngste wurde für dieses Buch verfasst, so dass sie zusammen fünf Jahrhunderte umfassen. Ihre Autoren lassen sich grob in drei Gruppen einteilen: Einheimische, Zugezogene und Reisende. Am See geboren oder dort aufgewachsen sind auf italienischer Seite Piero Chiara aus Luino und Dario Fo aus Sangiano/Porto Valtravaglia sowie auf der schweizerischen Seite Giovanni Bonalumi aus Muralto und Plinio Martini aus Cavergno. Ihren Erzählungen liegen die Erinnerungen an den See als Ort der Heimat zugrunde. Unter den Zugezogenen lebten einige wie Werner von der Schulenburg, Ursula von Wiese, Käthe Kruse, Claire Goll oder Friedrich Glauser nur zeitweilig dort. Andere blieben dauerhaft. Erich Maria Remarque, Emil Ludwig, Aline Valangin und Max Frisch erwarben prächtige Domizile oder bauten sie zu solchen aus und betrachteten sie bei all ihren Reisen als das Zuhause, in das sie zurückkehren konnten. Schlechter gestellt waren Franziska zu Revent­low und José Orabuena, die jeden Rappen zweimal umdrehen mussten, bevor sie in Ascona ihre Miete zahlten. Zu den Zugezogen zählen auch Lisa Tetzner und Hermann Hesse, auch wenn ihre Häuser in Carona und Montagnola am Luganer See und nicht am Lago Maggiore standen. Dass sie alle die Schweiz und nicht Italien zum Wohnsitz wählten, ist kein Zufall, auch wenn die Gründe dafür vielfältig sind. Für Valangin und Frisch, die zu den vierzehn gebürtigen Schweizern der Sammlung gehören, lag der Umzug im eigenen Land auf der Hand. Für die Ausländer spielten neben dem Flair der Künstler- und Aussteigerkolonie von Ascona und der kleinen Mondänität von Locarno auch politische Motive eine Rolle. Im Ersten Weltkrieg suchten die Pazifisten Claire und Ivan Goll in dem neutralen Land Zuflucht, in der Zeit des Nationalsozialismus Lisa Tetzner und ihr Mann, der Kommunist Kurt Kläber. Remarque nahm seinerseits Flüchtlinge in seinem Haus in Ronco auf, das er nach der Macht­ergreifung Hitlers nie wieder als Wohnsitz aufgab, Valangin tat das gleiche in Comologno. Die Autoren, die als Reisende an den Lago Maggiore kamen, hatten Unterschiedliches vor und hielten sich unterschiedlich lange dort auf. Theodor Fontane befand sich nur auf der Durchreise von Bellinzona nach Mailand, Kurt Tucholsky unternahm nur einen Tagesausflug von Lugano aus. Erich Mühsam hingegen verbrachte mehrmals einige Sommerwochen auf dem Monte Verità und Oskar Maria Graf einen Frühling bei der Kommune Askona in Brione. Als klassische Touristen logierten Gerhart Hauptmann und Erich Kästner in den Grand Hotels von Stresa und Brissago, als Kurgäste Friedrich Nietzsche und Johanna Spyri in der Villa Badia von Cannobio und der Villa Camenisch von Suna. Ein Kunstreisender war der Maler Johann Heinrich Meyer, ein Bildungseisender der Philosoph Hippolyte Taine, ein Forschungsreisender Hans Rudolf Schinz. Dienstlich waren die Schweizer Syndikatoren Hans Jakob Faesch und Karl Viktor von Bonstetten unterwegs, während Liebe und Freundschaft Hans Morgenthaler und Friederike Brun an den See führten. Es bleiben nicht zuletzt die Traumreisenden, die wie Jean Paul oder Paul Scheerbart niemals dort waren und sich alles wunderbar ausdachten. Die Sammlung enthält sechzehn geschlossene Erzählungen und Auszüge aus sechzehn Romanen, neun Reiseberichten, fünf Autobiographien, drei Briefsammlungen und einem Tagebuch, wobei die Zuordnung nicht immer eindeutig ist. Wie es die verschiedenen Gattungen vermuten lassen, sind die Texte von einer thematischen Vielfalt, die neben den fabulierten Handlungen Naturbeschreibungen, gesellschaftliche Betrachtungen und persönliche Bekenntnisse umfasst. Auch stilistisch ist ihre Bandbreite groß. Einige der Texte sind literaturgeschichtlich bedeutsam, aber auch schwere Kost. Jean Pauls monumentaler Titan (1800-1803) steht wie ein belletristischer Fixstern über dem Lago Maggiore, wird von Erich Mühsam als Werk von Deutschlands allergrößte[m] Dichter gepriesen (Ascona, 1905) und von Gerhart Hauptmann gleich im ersten Satz seiner Mignon (1949) erwähnt, und doch stellt der Roman für den heutigen Leser eine beträchtliche Herausforderung dar. Auch Goe­thes Wilhelm Meisters Wanderjahre (1829), ein Alterswerk immer­hin von Deutschlands größte[m] Dichter, setzt eine gewisse Be­reitschaft voraus, sich mit den elegisch gemessenen Beschreibungen und Betrachtungen anzufreunden, die aus einer verlorenen Welt zu stammen scheinen. Bei anderen Texten stehen handfeste Ereignisse im Vordergrund, die am und auf dem See passierten und die Frage nach der literarischen Größe in den Hintergrund treten lassen. Uffo Horns Erzählung Die schöne Insel (1859) geht auf Eifersucht und einen Mord zurück, der den Holländer Pieter Mulier dazu brachte, für den borromäischen Palast auf der Isola Bella ein paar schöne, noch heute zu bewundernde Gemälde zu malen. Auch Otto Zollers Der Untergang des Torpedobootes Nummer 4 (1911) ist nicht an der Größe Jean Pauls und Goethes zu messen, sondern lebt von der Dramatik des Unglücks, das sich im Winter 1896 auf dem See ereignete und an das heute in Cannobio ein Denkmal erinnert. Der Lago Maggiore liegt mit seinen Ufern in der Lombardei, dem Piemont und dem Tessin. Mit Ausnahme Mailands, zu dem sich der Baseler Syndikator Hans Jakob Faesch 1682 auf einer etwa 70 km langen Schiffsreise über den Ticino und die Navigli bringen ließ, liegt keiner der in den Texten vorgestellten Orte mehr als 25 km vom See entfernt. Für das Tessin, das weiter nördlich oder östlich davon liegt, kann auf andere lesenswerte Textsammlungen verwiesen werden: Willy Arnold Vetterlis Frühe Freunde des Tessins (1944), Alice Vollenweiders Neue Erzähler aus dem Tessin (1968), Esther Scheideggers Tessin. Ein Lesebuch (1991) oder René P. Moors Alpensüdseiten. Reiseberichte aus dem Tessin (2019). Für den Leser, der es auf Italienisch versuchen möchte, liegen vor: 20 racconti ticinesi (1941), Pane e coltello. Cinque racconti di paese (1975) oder Scarpe e polenta. Un viaggio letterario nella Svizzera italiana del Novecento (2001). Bei aller Vielfalt der Orte und Landschaften lassen sich in der Sammlung einige Schwerpunkte feststellen. Auf der italienischen Seite zogen die Borromäischen Inseln und vor allem die Isola Bella das Interesse der Autoren an. Dazu zählen Hans Jakob Faesch (1682), Jean Paul (1800), Stendhal (1811), Johann Wolfgang von Goethe (1829), Uffo Horn (1851), Hippolyte Taine (1866), Theodor Fontane (1875) und Antonio Fogazzaro (1895). An den mondänen See aus den Zeiten, als man die Inseln von Brissago noch kaufen konnte und Stresa eine Station des Simplon-Orient-Express auf dem Weg von Paris nach Istanbul war, erinnern uns Paul Scheerbart (1914), Ernest Hemingway (1929), Gerhart Hauptmann (1944), Erich Kästner (1946) und Liane Dirks (2004), während Hans Rudolf Schinz (1784), Karl Viktor von Bonstetten (1797), Friederike Brun (1800), Aline Valangin (1937), Lisa Tetzner (1944) und Plinio Martini (1975) von der urwüchsigen Seite des Sees in den nördlichen Tälern erzählen. Dem Künstlertreff, der seit dem frühen 20. Jahrhundert in Ascona und seiner Umgebung entstand, verdanken wir die Beiträge von Werner von der Schulenburg (1924), Hans Morgenthaler (1924), Friedrich Glauser (1931), Emil Ludwig (19...