Beschreibung
Die Kopenhagener Privatdetektivin Kit Sorel ist in die Jahre gekommen, doch sie hat sich von ihrem alten Freund Harry überreden lassen, einen eigenartigen Fall anzunehmen: Es geht um einen verschwundenen jungen Moslem namens Mehdi. Seine Tante Leila, Migrantin marokkanischer Herkunft und vielleicht Harrys neue Liebe, sucht verzweifelt nach ihrem Neffen. Der junge Mann hatte in letzter Zeit zunehmend radikale Ansichten geäußert, und es gibt Hinweise, dass er sich einer Zelle junger islamischer Terroristen angeschlossen hat. Kit recherchiert und stellt schnell fest, dass Mehdis Moschee bereits vom dänischen Sicherheitsdienst überwacht wird. Als ihre Klientin Leila überstürzt nach Marokko reist und dort prompt verschwindet, muss Kit sich aufmachen: Zusammen mit Harry fährt sie nach Marrakesch, dann nach Agadir an der Westküste Marokkos. Doch die fremden Verhältnisse und schwer nachvollziehbaren Familienhierarchien geben ihr neue Rätsel auf. Leilas Verwandtschaft empfängt sie scheinbar mit offenen Armen, aber Kit und Harry haben das deutliche Gefühl, dass man ihnen etwas Wesentliches verschweigt. Dann erfährt Kit, dass in Dänemark mit einem unmittelbar bevorstehenden terroristischen Anschlag gerechnet wird. Und er scheint tatsächlich von der Zelle auszugehen, der Mehdi vermutlich angehört. Ein spannender, nachdenklicher Kriminalroman über moslemische Einwanderer in Nordeuropa, Reibflächen zwischen den Kulturen und die Angst vor Fremdheit und Terror.
Autorenportrait
Ditte Birkemose, geboren 1953, arbeitete nach der Schule einige Jahre im Krankenhaus und ließ sich dann zur Erzieherin ausbilden. Später studierte sie in Kopenhagen Theologie. 1984 veröffentlichte sie ihr erstes Kinderbuch, dem weitere folgten. Für den Jugendroman Længlens døtre wurde sie 1988 vom Kultusministerium ausgezeichnet. Ihr erster Kriminalroman erschien 1993. 1996 kam der erste Band der Reihe um Privatdetektivin Kit Sorel heraus, der zweite Band "Engel der Stille" (Hadets Engel) erhielt 1998 den Dan-Turell-Preis. In den nächsten 10 Jahren schrieb Birkemose etliche erfolgreich verfilmte Drehbücher, eine Reihe von Kurzgeschichten für Zeitschriften in Dänemark, Norwegen und Schweden sowie Beiträge für deutsche Krimi-Anthologien. 2009 erschien mit "U 233" (Eisnächte, bei Ullstein) wieder ein Kit-Sorel-Roman. Ditte Birkemose lebt in Kopenhagen.
Leseprobe
Mein Gesicht. Mein verhärmtes Gesicht. Das Leben zerstört uns langsam. Ich seufzte und wischte mir ein Staubkorn aus dem Augenwinkel. Hing ein wenig meinen Gedanken nach, ließ dann den Spiegel wieder in die Tasche gleiten. Ich hockte in einem Café mitten in der Medina von Marrakesch. Überall um mich herum wimmelte es von Menschen, die Mittagssonne brannte auf die ockergelben Mauern, die den Stadtteil umgaben. Auf der anderen Straßenseite, vor einer der Verkaufsbuden, saß eine Frau auf einem Schemel und bemalte einen jungen Touristen mit Henna. Sein Freund, ein hochgewachsener blonder Mann, stand mit der Videokamera zwei Schritte weiter. Ich hielt die beiden für Niederländer. Ich streifte einen Schuh ab, wackelte mit den Zehen. Meine Beine waren geschwollen, ich fühlte mich wie gerädert. Wo zum Teufel blieb Harry? Verstohlen warf ich einen Blick auf die Uhr. Der Gestank der nahe gelegenen Gerberei mischte sich mit dem Rauch der Imbissbuden und brannte in meiner Nase. Ich hob die Hand, um mich vor der Sonne zu schützen, atmete schwer. Die hellrote Stadt zitterte in der Hitze, der Schweiß klebte mir mein züchtiges langärmeliges Kleid an die Haut. Ich trank einen Schluck Minztee, stellte das Glas ab und verscheuchte eine Fliege. Mir schräg gegenüber saß ein Mann mit einem Filzhut und einem grauen Anzug und las Zeitung. Der Stuhl geriet ins Schaukeln, als der Mann plötzlich aufsprang und zu meinem Tisch kam. Er deutete auf mein Feuerzeug, blickte mich fragend an. Ich nickte zurückhaltend. Zwei alte Männer, die in Djellabas dasaßen und Wasserpfeife rauchten, verstummten jählings und musterten mich mit missbilligenden Blicken. 'Merci.' Der Mann mit dem Filzhut zündete sich seine Zigarette an und blies Rauch aus, dann kehrte er zu seiner Zeitung zurück. Meine Lippen schmeckten nach Salz. Ich wühlte in meiner Tasche, fand Fächer und Portemonnaie und gab dem Kellner ein Zeichen. Wir waren mit Leilas Vetter verabredet, Youssef, der hier in der Stadt in der Nähe des Djemaa el Fna-Platzes eine Apotheke betrieb. Er hatte uns herbestellt, und er hätte schon längst hier sein müssen. Ungeduldig schaute ich abermals auf die Uhr. Und was in aller Welt trieb Harry denn bloß? Es war schon eine ganze Weile her, dass er in einer der engen Gassen verschwunden war, um Zigarillos zu kaufen. Konnte er sich womöglich verirrt haben?