Beschreibung
August 1914. Während über Europa der große Krieg aufzieht, beginnt Sir Ernest Shackleton eine gewagte Expedition. Als Erster will er den antarktischen Kontinent zu Fuß durchqueren. Mit an Bord seines Schiffes ENDURANCE: 69 Schlittenhunde, ein Grammophon, ein Fahrrad - und ein blinder Passagier. Zwischen Ölzeug und Gummistiefeln versteckt, nimmt der 17jährige Merce Blackboro Kurs auf den Südpol.Über das subantarktische Südgeorgien geht die Fahrt ins Eis. Doch der antarktische Sommer ist kurz, die Durchfahrt bleibt verschlossen. Im Weddellmeer wird die ENDURANCE über Monate vom Packeis eingeschlossen;von da an driftet sie einem ungewissen Schicksal entgegen.Für die 28 Expeditionsmitglieder beginnt eine entbehrungsreiche Odyssee durch die Weiten des Südpolarmeers, zusammengehalten von Shackletons unbeugsamem Optimismus, vorwärtsgetrieben von Kälte, Hunger und der Hoffnung auf Rettung. Der eiskalte Himmel ist ein moderner Abenteuerroman, fesselnd bis zur letzten Seite, voll klirrender Polarluft, voller Lebendigkeit in seinen Figuren und Geschichten. In ebenso genauer wie poetischer Sprache folgt Mirko Bonnés Roman Shackletons legendärer Imperial Trans-Antarctic Expedition durch das Eis und spürt den Beziehungen unter jenen Männern nach, die für 635 Tage aus der Welt fielen.
Autorenportrait
Mirko Bonné, geboren 1965 in Tegernsee, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Hamburg. Sein vielfältiges Oeuvre umfasst neben viel beachteten Romanen Gedichtbände, Erzählungen und Übersetzungen, darunter zuletzt Grace Paley, Henry James und Joseph Conrad. Für sein Werk wurde er mit dem Prix Relay (2008), dem Marie-Luise-Kaschnitz-Preis (2010) sowie dem Rainer-Malkowski-Preis (2014) ausgezeichnet und mehrfach für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Leseprobe
Einer, der von der Scholle rutscht und in das drei Grad kalte Wasserloch fällt, wo Käpt'n Worsley seine Tiefenlotung vornimmt, der weiß noch, was die Zeit ist, denn der spürt am eigenen Leib, wie furchtbar langsam sie vergeht. Vierzehn Tage brauchen die Klamotten, um zu trocknen.Tagein, tagaus liege ich auf meiner sich allmählich auflösenden Matte im Zelt und klammere mich an das Buch. Im Halbkreis sitzen sie um mich herum, Clark, Hussey, Bakewell, schwarze, ausgemergelte und langhaarige Gestalten mit Zahnschmerzen und Frostbeulen. Sie erzählen sich Witze, denken sich Lieder aus und erfinden Kochrezepte, und diese Geisterspeisen, die unser Zelt zur Attraktion machen, so dass jeder einmal hereinschneit und einen Happen Wörter kostet, sie werden fetter, sahniger, süßer mit jedem Tag.Kommt Vincent herein, heißt es schnell den Buchrücken zudecken, damit er nicht sieht, was ich lese. Dann nutze ich die Gelegenheit, um mir die Beine zu vertreten, stopfe das Buch in den Hosenbund und gehe vors Zelt. War sein Großvater wirklich dabei, als Käpt'n John Balleny, ohne es zu ahnen, die Durchfahrt zum Rossmeer und damit den einzig möglichen Zugang zum Pol entdeckte? Oder hast du gelogen, mein Bos'n? Ich setze mich auf die Futterkiste bei den Hunglus und lese weiter, bis mich Doktor Macklin auch von dort vertreibt.'Buch gerettet, Merce? Entschuldige, aber die Würmer haben Kohldampf.'Macks Gespann ist als Einziges übrig geblieben. Nachdem wir auch das Lager auf See abgebrochen haben und 15 Kilometer weiter nordwestlich über die Scholle gezogen sind, hat Wild an einem einzigen Nachmittag erst seine und dann auch Creans, Marstons und McIlroys Hunde erschossen. Und als Hurleys verbliebene sieben schließlich auch die letzten Dinge für uns aus dem Lager auf See in das neue 'Lager der Geduld' geschleppt hatten, musste Wild sie ebenso hinter den Eishügel führen, 35 Hunde, für die kein Futter mehr da war und die nun uns als Futter dienen. Mager, zottelig und verfilzt sehen mich Macklins sechs Köter mit ihren großen fragenden Augen an.Vincent kommt aus dem Zelt. Gesättigt von einer Phantompastete, schleppt er seinen Wanst voller Wind zu unserer kleinen Bootswerft hinüber. Dort ist sein Freund und väterlicher Tröster Chippy McNeish mit der Pfeife im Mundwinkel dabei, das Dingi zu kalfatern. Und dort lehnt sein Handlanger und Prügelknabe Stevenson an der aufgebockten DUDLEY DOCKER und schwingt seine Reden, denen nur der spindeldürre Schiffstiger zuhört. Mrs. Chippy aber kann es gleichgültig sein, wer sich großtut vor ihr, solange er nur einen Happen Robbe für sie hat. Ich warte, bis Vincent unter seinesgleichen ist, dann schlendere ich zurück zum Zelt und mache es John Balleny und mir bequem auf meiner Schmelzwassermatte.Bakewell: 'Kennt jemand von euch Donuts?'Hussey: 'Klar! Wo denkst du hin!'Bakewell: 'Sind ganz einfach zu machen. Ich mag sie am liebsten kalt und mit Erdbeermarmelade bestrichen.'Wordie: 'Erdbeermarmelade, nee, dazu hätte ich gern ein Omelett.'Es ist ein gewöhnlicher Morgen im Lager der Geduld, dieser Morgen, an dem ich zum ersten Mal den Namen von Ballenys Schiffsjungen lese: Er hieß nicht Vincent, sondern, ausgerechnet, Smith, was aber noch nichts heißen will.Doch es ist auch der Morgen, an dem für uns alle die Zeit stehen bleibt. An diesem 21. November 1915, dem 301. Tag, seit uns das Packeis vor Antarktikas Küste einschloss, sinkt die ENDURANCE.Der Sommer ist zurück. Die Wärme lässt das Eis schmelzen, und wo seine dünn und dünner geriebenen Schollen zerbrechen, kommt lakritzschwarz das Wasser zum Vorschein. Seit Wochen hat Shackleton dem Moment entgegengefiebert, in dem die Eiszangen aufgehen und die Klammer, die unser Schiff zerdrückt hat, das Wrack loslässt. Als es so weit ist, steht er allein auf dem Turm, und sein gellender Ruf ist zugleich Klageschrei und Kommando, wir sollen alles stehen und liegen lassen, aus den Zelten kommen und nach Süden schauen.'Sie sinkt! Sie sinkt!'Also wieder hinaus. Ja, da ist sie noch. Hat das Heck aus dem Eis gehoben. Bug und Mittelschiff aber sind schon ganz unter Wass Wrack vorzustellen, das unter uns in die schwarze Tiefe gleitet.Mach's gut, ENDURANCE.Brasst rund die Rahen!
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