Die verlorene Geschichte - Cover

Die verlorene Geschichte

Roman

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783901960369
Sprache: Deutsch
Umfang: 190 S.
Auflage: 1. Auflage 2006
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Auf dem Parkplatz vor dem Club Ambasada Gavioli findet B. M. zufällig die Aufzeichnungen eines gewissen Bojan. Von den Notizen angetan, macht er sich auf die Suche nach dem Verfasser. Nach monatelanger erfolgloser Suche beschließt er, den Text zu veröffentlichen, um ihn womöglich doch noch ausfindig zu machen und ihm die Aufzeichnungen zurückgeben zu können. In ihnen protokolliert Bojan, der mit Tim in einer offenen Beziehung lebt, seinen von Partys, Sex und Drogen geprägten Alltag, der in Eintönigkeit zu ersticken droht. Bis Arjun auftaucht, ein junger Inder, der vorgeblich nur auf Frauen und Drogen steht. Als Arjun wieder einmal verschwindet, nimmt Bojan sich vor, mit Tim aus dem zermürbenden Kreislauf auszusteigen und zu verreisen, doch plötzlich ist Arjun wieder da und will mit. Die verlorene Geschichte erzählt keine klassische Story. Vielmehr geht es Brane Mozetic darum, über die Tagebuchnotizen einen Zustand, das Lebensgefühl einer Generation zu schildern, die geprägt ist von Internetdates und permanent realisierbaren Sex, durch Perspektivlosigkeit und dem Partyrausch als Mittel und Weg, sich endlich einmal selbst zu spüren. Würde es nicht konkret benannt, man käme nicht auf darauf, dass dieses Buch in Ljubljana und nicht etwa in Hamburg, London oder Chicago angesiedelt ist. Axel Schock " Die vorliegenden Tagebucheintragungen fand ich am 29. August auf dem Parkplatzgrün vor dem Club Ambasada Gavioli in Izola. Ich überflog sie kurz, und weil sie mir interessant erschienen, nahm ich das ganze Bündel Papiere mit nach Hause. Meine Vermutung war, daß der Autor sie im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit einfach dort vergessen hatte, was bei solchen Gelegenheiten mit noch wichtigeren Dingen passieren kann. Ich hielt es für angebracht, sie zurückzugeben, weshalb ich monatelang erfolglos den Besitzer suchte. Ich hörte mich auf diversen Parties um, sogar bei Leuten, von denen ich den Eindruck hatte, sie werden in der Schrift vielleicht erwähnt, kam aber zu keinem Ergebnis. Letzten Endes habe ich mich entschlossen, sie öffentlich zu machen, und so hoffe ich, daß sich vielleicht sogar der Autor selbst oder jemand, der ihn mir vorstellen kann, melden wird. Ich bin dankbar für jeden Hinweis, der zur Person führt, die diese Geschichte verloren hat. An den Autor können sich so auch all diejenigen wenden, die sich in den beschriebenen Personen oder Begebenheiten vielleicht erkennen. "

Autorenportrait

Brane Mozetic, geb. in 1958 in Ljubljana, ist Lyriker, Erzähler, Übersetzer und Herausgeber (etwa der Buchreihe "Lambda", die sich des Themas Homosexualität annimmt). Er hat etliche Lyrikbände und mehrere Romane und Prosasammlungen veröffentlicht.

Leseprobe

Ja, Freitag. Freitag, Scheißtag, wie man so sagt, ein schlechter Anfang. Was heißt Anfang? Erst mal muß ich gleich notieren, daß ich zu bin. Zu, mein liebes Tagebuch. Beschissenes Tagebuch. Mein letzter Zuhörer. Taub wie immer. Gnadenlos zu. Oder du, heimlicher Leser, der du genüßlich auf diese Zeilen schielst, um dich am Unglück eines Fremden aufzugeilen. Um dir dann zu sagen, da gehts mir ja noch ganz okay. Oder um den Sinn zu suchen. Was für einen Sinn? Es gibt keinen. Eine spannende Geschichte vielleicht? Ach was. Sie sind alle langweilig, und wenn sie es noch so drauf anlegen. Ja, schiel nur in dieses scheiß Tagebuch, fadisier dich oder such nach Fehlern, da ist nichts, was dir in deinem langweiligen, beschissenen Leben helfen kann. Rein gar nichts. Bloß eine Neugier mehr. Der Tag fing um sechs an, als es klingelte. Ich drückte auf die Gegensprechanlage und wartete hinterm Spion. Ich hatte keinen Bock. Und es dauerte. Ich dachte mir, daß es nur Tim sein konnte, mein Typ, oder was von ihm übrig war. Klar, der Briefträger konnte es nicht sein, auch für die Kartoffelverkäufer war es noch zu früh. Endlich schleppte sich die betreffende Person die Stufen hoch, und ich konnte recht verschwommen sehen, daß es wirklich Tim war. Ich war mir aber nicht sicher. Mindestens zwei Mal mußte ich die Zerrgestalt in dem kleinen Loch beäugen. Ich machte auf, und die Nervtöterei ging schon los. Er wartete nicht lange, wurde gleich rabiat. Er packte mich am Kragen und bellte etwas. Wichtig zu sagen, was? Absolut nicht. Irgendwas. Als er auf einmal genug hatte, begann er mich ins Bett zu drängen, und dort wollte er mich gleich. Als schon alles auf einen Fick hinauslief, schien Tim schlappzumachen und einschlafen zu wollen. Naja, bis dahin dauerte es noch, er schwafelte etwas daher, aber ich könnte nicht behaupten, daß mir klar gewesen wäre, was. Teil zwei folgte dann zu Mittag, als ich wach wurde. Es war schon spät. Tim hätte aufstehen und zur Arbeit gehen müssen. Ich versuchte ihn zu wecken, aber er knurrte nur, daß ich ihn in Ruhe lassen soll. Das dauerte mit Unterbrechungen etwa eine halbe Stunde, und als es mir dann reichte, begann ich ihn stärker zu rütteln. Bis er endlich wütend aufstand, sich anzog und bellte, daß er nichts essen will, die Zigaretten nahm und sich anschickte zu gehen. Natürlich plärrte er mir pausenlos vor, ich hätte ihn letzte Nacht sitzenlassen. Er tischte so lange seine Sicht der Dinge auf, bis ich ihn satt hatte und ihm eine verpaßte. Oder er war schon vor mir grob geworden. Wer soll das jetzt noch wissen. Jeder hätte seine Version. Dann schlug er zu und so weiter. Dazwischen Pausen. Damit wir verschnaufen konnten. War das spannend? Nein, extrem langweilig und zermürbend. Wie immer. Inzwischen hatte er sich schon dreimal auf den Weg gemacht und wieder von vorn angefangen. Schließlich haute er doch ab, klingelte aber, als ich schon abgesperrt hatte, noch einmal. Ich machte nicht auf. Es war sinnlos. Ich konnte das erste Mal in Ruhe eine rauchen. Alle Zigaretten davor hatte ich abbrechen müssen. Halb oder nur zu einem Viertel geraucht, lagen sie einsam im Aschenbecher. Was für ein Sinnbild des Lebens! Ich kann mich erinnern, daß ich den Abend davor in die Disco gefahren war. Na, ich glaube, es war der letzte Tag im Jahr. Ich fuhr nach Izola, in diese Ambasada. Krochen ja alle hin. Ich hatte Tim dreimal gefragt, ob er mitkommt, aber er wollte nicht, weil ich noch irgendeinen Typen mitnahm, und der schmeckte ihm gerade nicht. Ich hatte keine Lust, die letzte Nacht im Jahr allein zu sein. Noch weniger wollte ich sie am Telefon verbringen und mir Tims Beschuldigungen anhören, oder was ihm eben eingefallen wäre. Ich war sowieso schon lange allein. Seit Monaten. Auch in der Gesellschaft Tausender ist man allein. Nichts Neues. Wenigstens ging mir keiner auf den Sack. Und ich brauchte nicht das Gefühl zu haben, daß man mich immer mehr vergißt. Daß jemand vor mir davonläuft. Klar habe ich mich weggeschossen. Keine Ahnung, wie viele Tabletten es waren. Aber die Ware war schlecht oder ich nicht in der richtigen Stimmung. Die Leute kamen mir nicht eine Spur schöner, nicht eine Spur freundlicher vor, nur sehr verschwommen, sie verloren die Gesichter, ihre Worte klangen hohl und gingen weit an mir vorbei. Ohne Bedeutung. Ich ging herum, tanzte ein bißchen, fand aber keinen Ruhepol. Da war kein Punkt, der mich angezogen hätte. Als mich dann Zigi anquatschte, klebte ich wie ein Blutegel an ihm. Ich saugte mich nicht fest, aber er war der Ersatzpunkt, vom dem ich mich immer wieder anziehen ließ. Ein sehr beweglicher Punkt. Der gar nicht leicht zu verfolgen war. Gegen Morgen beschlossen wir, ein bißchen rauszugehen. Aber es dauerte noch Stunden, bis wir wirklich gingen. Wenn man high ist, geht einfach nichts weiter. Du sagst dir, du wirst aufstehen, bleibst aber sitzen, wackelst mit dem Kopf zur Musik, und zwar stundenlang. Fast müßte man dich hochziehen. Wieder dauerte es eine Ewigkeit, bis Zigi an der Kassa fertig war. Draußen ging er in die falsche Richtung. Wo gehst du hin? sagte ich. Hä? Das Auto steht drüm. A ja! Ich konnte kaum sprechen. Die Worte verhedderten sich oder ich verlor sie ständig. Ich vergaß, was ich sagen wollte. Er zog etwas aus der Hosentasche. Ziehen wir noch eine Line? fragte er. Er wartete nicht, sondern fing an, sich sein Koks auf dem Armaturenbrett herzurichten. Fahren wir lieber woanders hin! Es war schon hell, mir war nicht danach, noch länger dort zu bleiben, zwischen den anderen Autos und den Leuten, die sich schwankend zwischen ihnen bewegten. Und ich verspürte auch den Wunsch nach ein wenig Einsamkeit, ein wenig Intimität, nach dem Seidenfaden zwischen zwei Wesen, den man nur im Abseits spinnen kann. Okay, sagte er. Also fuhren wir auf einen Feldweg, ziemlich weit weg von irgendwelchen flüchtigen Gestalten. Ich schaltete die Heizung ein, daß uns der Stoff wieder einschoß. Die Musik dröhnte volles Rohr, und er portionierte mit seinen zittrigen Händen das Pulver. Ich packte noch meine zwei Ecstasys aus, eins schluckte er gleich, ohne etwas dazu zu trinken. Zigi war mir sympathisch. Er grinste immer und schaute schön. Außerdem war er jung genug, groß genug und schlank genug. Nur zu abwesend. Weil alles zusammen noch nicht zu reichen schien, snifften wir noch Poppers, mehr als nur einmal. Wir kriegten kaum noch etwas mit. Er wollte auf dem Fläschchen etwas entziffern, schaffte es aber nicht. Er beugte sich ganz nah zu mir und zeigte mir die Wörter, eins nach dem andern. Ich begann mit der Hand seinen Schenkel zu streicheln und las vor. Als ich fertig war, klappte er seinen Sitz nach hinten, er lehnte sich zurück und ich streichelte ihm die Brust. Ich glitt mit der Hand unter sein T-Shirt und wußte selbst nicht warum, nicht einmal, ob mir das alles paßte. Aber, weißt du, ich bin nicht, fing er an und hatte schon vergessen, was er nicht war. Ich weiß, sagte ich und hatte vergessen, was er vergessen hatte. So hockten wir endlos im Wagen, nichts passierte und keiner unternahm was, damit etwas passiert. Die Fenster waren beschlagen, draußen gab es keine Welt. Das war toll. Der Kopf war abwesend, die Hände wollten sich bewegen und taten es dann doch nicht. Als stünde alles still. Nur er redete von irgendwelchen Reisen, wir redeten irgendwas, und ich könnte nicht behaupten, daß wir uns unterhalten hätten. Trotzdem fühlten wir uns wohl. Plötzlich schauten wir auf die Uhr, verschwommen suchten wir die Zeiger und stellten fest, daß wir zurück mußten. Ich konnte kaum losfahren. Irgendwie schaffte ich es. Ich fühlte mich ausgeglichen, nicht mehr verloren, als hätte mir dieses sinnlose Hocken im Auto, diese Dampfplauderei etwas gegeben. Komisch, aber fast war es so. Oder dieser Anflug von Gefühl beim Berühren der Haut, beim Flüstern von Worten, die zwar ohne Zusammenhang waren, aber trotzdem. Wir rollten wieder hinunter zur Ambasada a...