Die gestohlene Erinnerung

Roman

Auch erhältlich als:
19,95 €
(inkl. MwSt.)
In den Warenkorb

Nicht lieferbar

Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783903005037
Sprache: Deutsch
Umfang: 192 S.
Format (T/L/B): 2 x 21.2 x 13.3 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Eine Frau und ihre Mutter brechen in die ehemaligen Siedlungsgebiete der Donauschwaben nach Nordserbien auf, um die Wurzeln ihrer Familie zu suchen. Am Telefon mit dabei: die alte Großmutter. Vor der Abreise hat sie ihrer Enkelin vom Alltag in ihrer Heimat, vom 2. Weltkrieg und der Deportation in ein sowjetisches Arbeitslager erzählt. Im Auto hören sie sich diese Aufnahme an. Nach anfänglichem Widerstand beginnt auch die Mutter über den Krieg und die Flucht zu sprechen. Ihre Tochter reiht Stück für Stück aneinander und findet allmählich eine Spur in die Vergangenheit.

Autorenportrait

Ulrike Schmitzer, 1967 in Salzburg geboren; Studium der Publizistik und Kunstgeschichte; Redakteurin bei Ö1, freie Filmemacherin und Autorin in Wien; zahlreiche Radiopreise, u. a. Inge Morath-Preis für Wissenschafts-Publizistik 2012. Absolventin der Leondinger Akademie für Literatur 2008; zuletzt erschienen: Es ist die Schwerkraft, die uns umbringt (2014), Die Flut (2013), Die falsche Witwe (2011), alle in der Edition Atelier. Als Co-Herausgeberin Bourdieus Erben (2006) und Susan Sontag. Intellektuelle aus Leidenschaft (2007), beide im Mandelbaum Verlag.

Leseprobe

Auf der Durchreise Im Pass meiner Mutter steht unter Geburtsort ein Ort, den es nicht mehr gibt. Filipowo. Im Pass meines Vaters steht ein Ort, den es nicht mehr gibt. Sentiwan. Er lag ganz in der Nähe des Geburtsortes meiner Mutter. In einem Land, das es nicht mehr gibt. Ich erzähle Dir von einem Land, das es nur in Erzählungen gibt. Ich bin ein Kind von Einwanderern. Ich bin nicht von hier und auch nicht von dort. "Sag das noch mal, du betonst das so komisch!" Ich kann nichts Komisches hören. "Na, siehst du, das meine ich." Ich habe schon immer das Gefühl, nicht lange hierzubleiben. "Du lebst wie auf der Durchreise", sagte mein Vater immer. Immer etwas in Kartons in der Wohnung, nie alles ausgepackt. Den Pass immer dabei. Für mich war es als Kind ganz selbstverständlich, dass man vertrieben wird. So wie andere die Geschichte von der ersten Begegnung der Eltern hören, hörte ich immer und immer wieder die Geschichte der Vertreibung. Die Wiege meiner Mutter hinter dem Schuppen. Der schöne Wohnzimmerteppich, nur noch ein erbärmlicher Fetzen. Jedes Wegfahren eine Tragödie. Jede Urlaubsfahrt ein enormer Stress. Um drei Uhr in der Früh läutete der Wecker. Mir war schon schlecht, bevor ich überhaupt eine Hose anhatte. Wir fuhren normalerweise nach Kroatien auf Urlaub. Andere fuhren nach Italien und brachten tolles Plastikspielzeug und ein T-Shirt mit Aufdruck mit, aber wir fuhren immer nach Kroatien. Diesmal nicht. Diesmal fuhren wir nach Serbien. Es war stockfinster und eiskalt. In Gastein bei der Zugschleuse konnte man den Atem in der Luft sehen. Da war es noch immer finster. Wir sind zu spät weggefahren, sagte mein Vater. Denn wir standen bei der Schleuse im Stau. Wie jedes Jahr. Wir machten nur eine einzige Pause, weil mein Vater möglichst schnell im Urlaub sein wollte. Bei einer dieser Pausen - auf einer Landstraße im Nirgendwo - blieben wir stehen. Endlich, nachdem wir meinem Vater ungefähr dreißig geeignete Bäume, um darunter im Schatten zu sitzen, vorgeschlagen hatten. Das müsst ihr vorher sagen, meinte er zornig. Jetzt ist es zu spät. Wir sahen die Bäume logischerweise aber erst dann, wenn wir an ihnen vorbeifuhren, denn wir saßen auf dem Rücksitz. Ich war die einzige, die nach vorne sah, aber ich durfte nicht aus dem Fenster sehen. Sonst wird dir wieder schlecht, sagte meine Mutter. Konzentrier dich auf etwas im Auto. Ich konzentrierte mich darauf, wie mein dritter Bruder in der Nase bohrte. Davon wurde mir erst richtig schlecht. Als mein Vater nun endlich Gefallen an einem Baum fand, bog er an den Straßenrand, fuhr ein Stück nach vorne und dann ein Stück zurück, bis es krachte. Meine Mutter schrie kurz auf, mein Vater schrie meine Mutter an, dass sie ihn ganz verrückt mache mit ihrer Hektik und dass da kein Mensch mehr Autofahren könne. Alle stürmten aus dem Auto. Mein Vater hatte einen Pfosten gerammt. Weit und breit war nichts, außer diesem Pfosten zur Begrenzung der Straße. Im Auto war aber keine Delle. Der Pfosten war aus Plastik und nicht aus Holz wie bei uns, und er war beweglich. Er lehnte nur quer am Auto. Serbien war toll. Meine Mutter packte die Decke und die Kühltasche und bereitete das erste Picknick auf serbischem Boden vor. Erst Serbien, dann Plattensee. Erst Besichtigung, dann Baden. So war der Plan. Ich kann mich nur noch an Plattensee erinnern. Die Reise Es gab so viele Namen, Ortsnamen, Filipowo, Sentiwan, Apatin, Hodschag,. die Orte waren mir in Fleisch und Blut übergegangen, obwohl ich nie dort war. Es war vielmehr so, dass ich diese Namen gar nicht als reale Dörfer oder Städte begriff. Immer war die Rede von Gakowo, von Apatin, Sombor, ich kam erst sehr viel später dahinter, dass diese Orte existierten. Es gab sie wirklich. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass es Orte wie Krimml oder Golling waren. Das waren doch nur Geschichten. Genauso ging es mir mit anderen Worten. Das ist ein Raaz. Was das heißt? Das war für mich ungefähr so wie wenn man jemanden fragt, was heißt das, d