Beschreibung
Streunerkatzen, Straßenhunde, Dichtermöwen und Kinoraben: Achtzehn Erzählungen über Außenseiter, Menschen wie Tiere, über Vernachlässigung und Zuwendung, wundersame Begegnungen.mal spricht der Mensch, mal das Tier. Es ist kompliziert. Und anrührend. Mit Beiträgen von: Sükru Erbas, Mehmed Güreli, Ethem Baran, Sevin Okyay, Mario Levi, Vecdi Çiracioglu, Ali Ayçil, Irmak Zileli, Haydar Ergülen, Mehmet Said Ay- din, Fuat Sevimay, Gökhan Akçura, Melike Ilgün, Ömer Izgeç, Emrah Polat, Mevsim Yenice, Ömür Iklim Demir, Pelin Buzluk
Leseprobe
Sie fror, und ich wickelte sie sofort in eine Decke, nur ihr Schnabel ragte heraus. Sie stieß einen Schrei aus, als wäre um sie herum nichts, und ich verstand nicht, was sie wem mitteilen wollte. Ich behielt sie im Auge, zog mich in eine Ecke zurück, zündete mir eine Zigarette an, löschte eine der Lampen, ging nicht ans Telefon und sprach bis zum Abend mit niemandem. Schließlich schloss sie die Augen, wohl, weil sie sich sicher fühlte. Ich griff mir den Eimer, um Wasser zu holen. Als ich zurückkehrte, schlief sie immer noch, atmete schwer, als sei sie bewusstlos. Doch gestern Abend war sie ruhig und putzte alles weg, was ich ihr vorsetzte. Vom Fenster aus sah ich die Schule. Vom Nebenzimmer und von der Terrasse aber war die Aussicht so gut, dass sich Üsküdar ganz nahe anfühlte, mir war es sogar fast zu viel. Es gibt sie ja, diese Glückspilze, die vergessen in einem Dachgeschoss leben. Ich war so einer. Ich glaube nicht, dass sich jemand wirklich vorstellen konnte, was ich von den Nachbarn alles sah, welche Szenerien sich mir für boten. Ich steige immer die Treppe hinunter, bevor sie große Augen machen. Neben den Schornsteinen ist es wie ein Zimmer, das man von den Sternen sehen kann. Die Terrasse, der Bosporus, der Tisch, der Sessel, den mir ein Holländer glücklicherweise überlassen hat, und die Sterne waren die unverzichtbaren Bestandteile meines Lebens. Nun war ein weiterer hinzugekommen. Ich wusste nicht, wie sie es aufnehmen würde, aber ich wollte sie 'Beere' rufen. Die Wunde auf ihrem Kopf hatte sie in einen scharlachroten Vogel verwandelt. Vielleicht würde sie sich aber auch gar nicht angesprochen fühlen. Wenn sie sich erholt hatte, würde sie sicher fortfliegen. Die Zeit verging, und langsam erholte sie sich. Nach und nach erhoben sich auch die Stimmen anderer Vögel. Mir kamen die Gespräche, die Toto mit dem Raben in diesem wunderbaren Film geführt hatte, in Erinnerung. Hätte ich doch auch mit Beere sprechen können! Ich wollte nicht darüber hinweggehen, ohne ein paar Zeilen zu schreiben. Auf einmal wollte ich ihr diese Geschichte erzählen, also das, was nach dem Film geschah. Schon beim ersten Satz öffneten sich ihre Augen, und auch wenn sich nicht sagen ließ, dass sie gleich offen erfreut war, so war ich mir doch sicher, dass es sie interessierte. Ihrem Schnabel entglitt ein leichtes Schlucken. Die Geschichte beginnt in Üsküdar mit der zufälligen Begegnung zweier Raben bei Sonnenuntergang. Einer von ihnen sagte: 'Bist du nicht der Rabe aus diesem Film?' 'Nein', sagte der andere, 'mit dem Kino habe ich nichts am Hut, ich versuche einfach, satt zu werden, und in den kalten Monaten verstecke ich mich an Orten, die du nicht für möglich halten würdest. Das ist mein kleines Geheimnis.'
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