Autorenportrait
Erika Burkart, (1922-2010), schrieb Prosastücke, Romane und vor allem Lyrik. Sie lebte mit ihrem Mann Ernst Halter in einem alten Äbtehaus in Aargau, das mitsamt seinem 'Gartenparadies' eine wichtige Rolle in ihrem Werk spielt. Die Schweizerin gilt als eine bedeutendsten Lyrikerinnen im deutschsprachigen Raum. Ihre letzten Gedichte sind bei Weissbooks neu erschienen
Leseprobe
Was wir äußern in Briefen, Gesprächen ist meist nicht mehr als die Spitze des Eisbergs. Unter Wasser zieht, was uns umtreibt. In der Schrift wird das aus der Gedankenpuppe befreite Wort selbständig, der Falter setzt sich ab, hebt sich weg. Der Preis der Freiheit ist Ausgesetztheit. Beim Freischälen von Erinnerungen stoße ich in Dunkelkammern auf Negative, die zu entwickeln ich das schriftliche Wort benötige. Im Prozedere der Niederschrift präzisieren sich die Bilder. Falls Vergessen und Verschweigen natürliche, nicht durch Krankheit bewirkte Vorgänge sind, haben Vergessenes und Verschwiegenes ihre eigene Dichte und teil an der Fülle der Existenz. Wenn man zwei Spiegel einander zukehrt, entsteht eine unendliche Reihe, ein grenzenloser Raum. Jeder Spiegel wirft mit dem Abbild seines Gegenübers auch sein eigenes, von diesem gerahmtes Spiegelbild zurück': obiges Phänomen erfuhr ich früh, stand ich im Elternschlafzimmer zwischen Waschtischkommode und Spiegelschrank, betroffen über die vielen, in unabsehbaren Räumen gnomenhaft sowohl präsenten wie absenten Ferngestalten meiner selbst, die winkten, wenn ich winkte. (.) Allein zwischen den elterlichen Spiegeln stehend, muß das kleine Mädchen, vielleicht zum erstenmal schmerzlich bewußt, empfunden haben, dass jeder Ort, auch der heimatlichste, zu einem Unort, einer Dunkelstelle, einer Zelle des Ungeheuerlichen werden kann. Drösle ich nachts mein Lebensgarn auf, weil ich nicht schlafen kann, oder kann ich nicht schlafen, weil die Überprüfung der einzelnen Fäden und Fasern (Abschnitte, Knoten, Risse) nicht zu umgeben ist, soll der dunkle Rest des Knäuels sich nicht verwirren. - Der Kern, um den das Garn gewunden war, wird erst sichtbar, wenn dieses bis auf ein Netz abgewickelt ist. Der Schluß eines Textes sei kein Riegel, sondern eine lautlos geschlossene, nicht verschlossene Tür.
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