Beschreibung
"Die Lieder von König und Löwe" erzählt die Geschichte des mächtigen aber grausamen Königs Gilgamesch, der seiner göttlichen Abstammung wegen weder Menschen noch Götter fürchtet und sein Volk deswegen brutal unterjocht. Erst als sich ihm der von Tieren aufgezogene Enkidu entgegenstellt, beginnt der Herrscher über ganz Uruk zu begreifen, dass seine Königswürde alleine ihn nicht glücklich machen kann und dass es zwei Mächte gibt, die selbst die größten Herrscher niederringen können: Liebe und Tod.
Autorenportrait
Renée Aislinn war schon als Kind von den Kulturen der Antike fasziniert und ließ sich von den unterschiedlichen Vorstellungen jener Epoche dazu inspirieren, ihre eigenen Welten zu erschaffen. Es verwunderte also niemanden, als sie sich dazu entschied, ihr über die Jahre angesammeltes Wissen an der Universität zu vertiefen. Dies mag ein Grund dafür sein, weswegen sich in ihren Geschichten stets ein Hauch von Patina findet. Einen wesentlichen Bestandteil ihrer Werke machen allerdings die Kämpfe aus, die die Charaktere mit sich selbst ausfechten und in deren Verlauf die Hauptpersonen aus den ihnen zugeschriebenen Rollen ausbrechen.
Leseprobe
Das Lied vom König mit dem goldenen Gürtel Als die Götter noch in Fleisch gekleidet durch die Lande wandelten, um sich ihrer Schönheit zu erfreuen, lebte ein Volk im Herzen der Welt, das seine ruhmreiche Stadt zwischen den beiden Sonnenbergen erbaut hatte. Die Sonne schien vom Verlassen des ersten Berges bis zum Eintauchen in den zweiten Berg ohne Unterlass auf die Lehmbauten und schenkte Wärme und Licht. Einst hatten die Menschen der Stadt kaum leben können, denn die Sonne war nicht nur Mutter des Lebens, sondern auch Zerstörerin der Felder. Es war der Verdienst der ersten Königin, dass die Felder erblühten und mit ihr die Stadt und die Kultur in ihr, denn die edle Frau beriet sich mit ihrer Ahnsherrin Ischtar und ließ Kanäle in die Erde graben, die Wasser aus den fernen Quellen speisten. Die Felder gediehen und brachten mehr Ertrag, als zwei Städte ihrer Größe hätten essen können. So wuchs nicht nur das Korn, sondern auch der Handel der ruhmvollen Stadt, bis Händler aus allen Himmelsrichtungen gezogen kamen, um ihre Waren anzupreisen. Da nun aber so viel Korn zu essen und so wenig Arbeit zu verrichten war, befahl die Tochter der ersten Königin, jenen, die nichts zu tun wussten und sich dem Trinken und Spielen hingaben, Ziegel zu brennen und Metalle zu schmieden. Noch ehe die vierte Königin einem Sohn das Leben schenkte, hatte sich ihre herrliche Stadt einen Namen als Ursprung aller schönen Künste gemacht. Nur wenige Generationen später gab es kein Königshaus in der Welt, das nicht den herrlichen Schmuck aus Ischtars Stadt trug oder aus ihren Bechern trank. In diese Stadt wurde ein Junge geboren, dessen Mutter von solch erhabener Schönheit gewesen war, dass selbst ein Gott seinen Blick nicht hatte, von ihr nehmen können und sich zu ihr gelegt hatte. Der Junge war nun aber ein Wesen aus menschlichem Fleisch und göttlichem Blut und wusste seine Kräfte nicht zu nutzen. Immer wieder zerbrach er die Schilde, die man ihm zum Tragen reichte. Einmal stürzte eine Statue der Gottheit und zerbrach in dreiundvierzig Stücke, weil der wütende Knabe ungehalten gegen ihren Sockel getreten hatte. Viele erschreckende Geschichten erzählte man sich in der großen Stadt und warf verstohlene Blicke auf das beinahe göttliche Kind, wenn es im Schatten eines Fächers durch die Straßen und Gassen ging. Der Knabe aber fürchtete sich vor ihren Blicken nicht, denn er wusste, dass er zum Teil göttlich war, und empfing die Huldigungen der einfachen Leute mit Stolz. Auch zum Mann herangewachsen liebte er seine Stellung und genoss die Spaziergänge durch die Gassen und Straßen. Da er seine göttliche Herkunft jedoch nicht zeigen konnte, legte er um so mehr Wert auf seinen königlichen Status. Jedes seiner Gewänder war aus den kostbarsten Stoffen der Stadt gefertigt, und ihr Saum glänzte der Silberfäden wegen in der Sonne. Einen kunstvolleren Gürtel als den seinen hatte die Welt nie zuvor gesehen. Zwei Löwen warfen sich darauf mit einem vergöttlichten Stier in den Kampf. Das Gold ihrer Leiber blitzte bei jedem Schritt auf. An seiner Stirn trug der junge König einen Reif aus Silber und schwarzen Steinen, die im Gewirr seiner schwarzen Locken kaum zu erkennen waren. Sie glichen seinen Augen, die selbstgefällig um sich blickten und nie lange auf nur einer Stelle ruhten. Sein Gewand reichte beinahe bis zu seinen Sandalen. Er musste ja nicht im Schweiße seines Angesichtes im Staub knien, um die Teller zu fertigen, aus denen er aß, oder die Felder bestellen, deren Ertrag er zuerst für sich beanspruchte. Seine Tage aber glichen einander auf gar langweilige Weise. Die Söhne des Händlers Miruk hockten über große Tongefäße gebeugt und banden graues Leinen über ihre Öffnungen, um sie dann mit feuchtem Lehm zu verschließen. Der Händler vor seinem weiß gestrichenen Haus ritzte das Zeichen für Korn in den Lehm und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Mehrere Mädchen liefen laut schnaufend an ihm vorbei und trieben ihre hübschen Zicklein zum nächsten Brunnen, um sie d