Beeinflussen extrinsische Anreize soziales Verhalten? Eine modelltheoretische Betrachtung des Verdrängungseffekts

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783955498245
Sprache: Deutsch
Umfang: 53 S., 0.33 MB
Auflage: 1. Auflage 2015
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Format: PDF
DRM: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

In dieser wissenschaftlichen Arbeit wird ein mikroökonomisches Paradoxon untersucht, welches darin besteht, dass durch steigende materielle Anreize die Bereitschaft sinkt ein Engagement auszuführen. Menschen versuchen durch soziales Handeln, genauso wie durch jede andere Handlung, aus Sicht des motivationstheoretischen Ansatzes, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Innere und äußere Anreize können diese Bedürfnisse aktivieren und zu einer Anstrengungsentscheidung führen.Oftmals versuchen staatliche Institutionen durch finanzielle Anreize prosoziales Verhalten zu fördern. Dabei stellt sich aus wirtschaftlicher Sicht die Frage nach der Effektivität und Effizienz dieser Maßnahmen. Führen die oben erwähnten finanziellen Anreize, wie es die klassische Volkswirtschaftslehre prognostiziert, zu einem Anstieg des Anstrengungsniveaus oder können diese externen Eingriffe gar zu einem Rückgang der intrinsischen Motivation führen, wie es von einigen Verhaltensforschern prognostiziert wird?

Autorenportrait

Sergej Heinrich wurde im Jahre 1986 in Moskau geboren. Von 2006 bis 2012 studierte er Volkswirtschaftslehre (Diplom) und absolvierte zusätzlich den CEMS Master in International Management sowie ein Auslandssemester in St. Petersburg. Seine Studien- und Interessenschwerpunkte lagen dabei im Bereich der Verhaltensökonomie, der Arbeitsmarktökonomie und der Personalwirtschaftslehre.

Leseprobe

Textprobe:Kapitel 3.1.1, Die verborgenen Kosten von Belohnungen:Seit den frühen 1970er Jahren wurden zunächst von Psychologen, später auch von Ökonomen, zahlreiche Feldstudien und (Labor-)Experimente durchgeführt, um zu überprüfen, ob durch die Einführung extrinsischer Anreize die intrinsische Motivation und das Anstrengungsniveau von Menschen beeinträchtigt wird. Deci (1971) beobachtete in einem Experiment mit Psychologiestudenten, dass diejenigen Versuchspersonen, die für das Lösen eines komplexen Puzzles (sog. Soma-Puzzle) finanziell belohnt wurden, ihr zu Beginn vorhandenes intrinsisches Interesse mit der Zeit verloren (Deci, 1971: 110). Aufgrund der relativ kleinen Stichprobe (n= 24) und der fehlenden statistischen Signifikanz der Resultate wurden die Ergebnisse kritisch betrachtet (Cameron& Pierce, 1994: 365), jedoch als erste Hinweise für das Vorhandensein eines Verdrängungseffekts gedeutet. Deci führte die Ergebnisse auf eine veränderte Situationsbewertung zurück, durch die sich die Aktivität von einer unbezahlten, freiwilligen Tätigkeit zu einer vergüteten entwickelte (Deci, 1971: 114).Seine Erkenntnisse formuliert Deci zu der sog. Cognitive Evaluation Theory. Demnach führen Situationen, in denen die vom Individuum wahrgenommene persönliche Kompetenz und Autonomie eingeschränkt werden, zu einer Verringerung der intrinsischen Motivation (Eisenberger& Cameron, 1996: 1155).Mark R. Lepper, David Greene und Richard E. Nisbett (1973) untersuchten in einem Feldexperiment mit Kindergartenkindern, wie sich ein anfängliches, intrinsisches Interesse durch die Aussicht auf eine extrinsische Belohnung veränderte. Sie testeten explizit die aus der Selbstwahrnehmungstheorie abgeleitete Korrumpierungshypothese, nach der Individuen ihre intrinsische Motivation abwerten, sobald für ihre Handlung sichtbare extrinsische Anreize angeboten werden (Lepper et al., 1973: 130). Diese Abwertung wird damit erklärt, dass die Individuen bei einer rückblickenden Betrachtung ihrer Handlung nicht mehr genau feststellen können, welche Gründe tatsächlich für ihr Verhalten verantwortlich waren. Der Korrumpierungshypothese zu Folge kommen Menschen bei ausreichend großen, äußeren Einflüssen zu der Erkenntnis, dass sie allein durch die extrinsischen Anreize geleitet wurden (Bem, 1972: 39), obwohl ursprünglich intrinsische Motive hätten vorliegen können. Wenn der extrinsische Anreiz dann wieder entfernt werden würde, wäre der ursprüngliche Grund für die Aktivität, das intrinsische Interesse, bereits vollständig korrumpiert, d.h. untergraben worden. Nach Abschluss der rückblickenden Betrachtung entscheidet das Individuum über seine zukünftigen Handlungen. Das Anstrengungsniveau sinkt unter das ursprüngliche Niveau.Die im Experiment von Lepper et al. (1973) analysierte Aktivität war das Malen mit speziellen bunten Stiften. Kinder, die ohne jeglichen äußeren Einfluss anfingen, mit den Stiften zu malen, wurden als Versuchsteilnehmer identifiziert. Bei ihnen wurde vermutet, dass sie über ein intrinsisches Interesse an der Handlung verfügten (Lepper et al., 1973: 132). Übertragen auf die bisherigen Überlegungen zur intrinsischen Motivation kann die Ausprägung des anfänglichen Interesses mit der Variable umschrieben werden. Es muss kritisch angemerkt werden, dass nicht die intrinsische Motivation in solchen Experimenten direkt gemessen wurde, sondern die vermutlich durch sie ausgelöste Verhaltensänderung.Nach dieser Identifikationsphase wurden die Kinder für die folgenden Beobachtungsphasen per Zufall drei verschiedenen Versuchsgruppen zugeordnet: Kindern, die in die erste Gruppe kamen, wurde für das Malen eines Bildes eine Belohnung in Aussicht gestellt. Die zweite Gruppe von Kindern erhielt unerwartet die gleiche Belohnung, während die dritte Gruppe als Kontrollgruppe genutzt wurde, der keine Anreize und Belohnungen angeboten wurden. Nach 1-2 Wochen wurde die Aktivität den Kindern wieder angeboten. Die Veränderung der intrinsischen Motivation wurde anhand der Reaktion der Kinder auf die wieder angebotenen Buntstifte gemessen. Dieser dreigliedrige Versuchsaufbau wurde häufig in solchen Experimenten verwendet.Die Autoren stellten, wie von ihnen prognostiziert, fest, dass die Kinder, die sich in der ersten Versuchsgruppe befanden, in der letzten Beobachtungsphase weniger Zeit mit Malen verbrachten. Die Kinder in der zweiten und dritten Gruppe zeigten hingegen ein unverändert hohes Interesse. Darüber hinaus stellte eine Jury fest, dass die Qualität des Gemalten in der ersten Gruppe schlechter war, während bei den anderen beiden Gruppen Quantität und Qualität des Gemalten unverändert blieben (Lepper et al., 1973: 135).In diesen statistisch signifikanten Ergebnissen sahen die Autoren einen Hinweis für die negative Wirkung von (erwarteten) Belohnungen auf die intrinsische Motivation von Individuen (Lepper et al., 1973: 135). Sie warnten jedoch nachdrücklich vor einer Verallgemeinerung ihrer Ergebnisse: Das Experiment diente der Illustration des bis dahin lediglich vermuteten Korrumpierungseffekts. Eine generelle Aussage, dass Belohnungen stets zu einer Verringerung der intrinsischen Motivation führten, ließe sich nicht aus den Ergebnissen des Experiments ableiten (Lepper et al., 1973: 136). Der Korrumpierungseffekt als eine mögliche Ursache für den Verdrängungseffekt konnte hingegen genauer beschrieben werden.Als Reaktion auf diese ersten Experimente beschäftigte sich eine Vielzahl von Studien mit dem Nachweis und der Messung des Verdrängungseffekts. Insbesondere die Unterschiede bei der Konzeptionierung der Experimente und bei der Messung der intrinsischen Motivation, sowie der extrinsischen Anreize, führten dazu, dass eine Prognose der Wirkungsrichtung nicht eindeutig war. Abhängig von der Belohnungsart und dem Versuchsaufbau konnten sowohl positive Effekte, z.B. bei mündlichem Lob als auch negative Auswirkungen von Anreizen beobachtet werden (Cameron& Eisenberger, 1996: 1154). Meta-Analysen, die mithilfe statistischer Methoden die Ergebnisse verschiedener Studien zusammenfassen, sind in ihren Interpretationen der Forschungsergebnisse ebenfalls nicht konsistent. Während Cameron und Eisenberger wenige Anhaltspunkte dafür finden, dass Belohnungen das intrinsische Interesse negativ beeinflussen (Cameron& Eisenberger, 1996: 1162), unterstützt die Mehrheit der durchgeführten Meta-Analysen die Position, dass unter bestimmten Umständen die Verwendung materieller Anreize einen negativen Einfluss auf die intrinsische Motivation von Individuen haben kann (Frey& Jegen, 2001: 597).Es gilt zu beachten, dass der Großteil dieser Studien im Bildungs- und Erziehungsbereich durchgeführt wurden. Aus personalökonomischer Sicht ist es jedoch wichtig, zu verstehen, ob die im Berufsalltag häufig verwendeten monetären Anreizmechanismen die tatsächlich intendierte Wirkung entfalten. In diesem Bereich fehlten jedoch lange Zeit beweiskräftige, empirische Hinweise für den Verdrängungseffekt (Prendergast, 1999: 18). Bei leistungsabhängigen Löhnen ist die Vergütung implizit an das Anstrengungsniveau des Agenten gebunden. Je mehr sich ein Individuum anstrengt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass seine Arbeitsleistung den Anforderungen des Unternehmens entspricht, und desto höher fällt seine Entlohnung aus.Edward P. Lazear (2000) zeigte anhand eines umfangreichen Datensatzes, dass die Einführung von leistungsabhängigen (Stück-)Löhnen die Produktivität von Arbeitern im Durchschnitt um 44% steigerte (Lazear, 2000: 1353). Unter Verwendung von arbeiterspezifischen Dummy-Variablen wurde die pure Anreizwirkung variabler Vergütung, ausgelöst durch die Umstellung auf den Akkordlohn, deutlich: Um 22% stieg die Anzahl der installierten Autoscheiben (Lazear, 2000: 1353). Aus diesen statistisch signifikanten Ergebnissen schloss Lazear, dass Arbeiter, genau wie von den Standardmodellen der Volkswirtschaftslehre prognostiziert, auf Leistungsanreize mit einer Verhaltensänderung reagieren.Monetäre Anreize erfüllen demnach ihren intendierten Zweck: Sie steigern im Durchschnitt das Anstrengungsniveau der Arbeiter. Die oben aufgeführten Verhaltenshypothesen von Deci (1971) und Lepper et al. (1973), wonach extrinsische Anreize das Anstrengungsniveau senken könnten, betrachtet Lazear damit als widerlegt (Lazear, 2000: 1347).Frey und Jegen (2001) kritisieren Lazears Feststellung scharf. Sie argumentieren, dass Lazear in seinen Daten deshalb keinen Verdrängungseffekt feststellen konnte, weil es bei der betrachteten Tätigkeit, dem Einsetzen von Windschutzscheiben, von Anfang an keine bedeutende intrinsische Motivation gegeben hat, die durch den Einsatz extrinsischer Anreize hätte verdrängt werden können (Frey& Jegen, 2001: 596).Es zeigt sich, dass die Ergebnisse und Theorien hinsichtlich der Auswirkung von extrinsischen Anreizen auf die intrinsische Motivation zu keinen allgemeingültigen Verhaltensprognosen führen. Daher ist nicht die Frage, ob der Verdrängungseffekt stets auftaucht von Interesse, sondern die Umstände, unter denen der Effekt auftritt, müssen näher analysiert werden (Frey, 1997: 16). Um die Verhaltensänderung besser zu verstehen, unterteilt Frey (1997) die Wirkung extrinsischer Anreize in einen Preis- und einen Verdrängungseffekt. Die Darstellung dieser beiden häufig entgegengesetzten Effekte soll im Folgenden näher analysiert werden, da sie für die Entscheidung soziales Verhalten auszuüben von Bedeutung ist.

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