Sezessionen

Das erbitterte Ringen um Unabhängigkeit

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783957682574
Sprache: Deutsch
Umfang: 352 S., 16 s/w Illustr., 31 Karten
Auflage: 1. Auflage 2024
Einband: Paperback

Beschreibung

Die Ukraine kämpft aktuell um ihre 1991 erlangte Unabhängigkeit, China wiederum stellt die Unabhängigkeit Taiwans infrage und ob Bosnien-Herzegowina als Staat langfristig existieren wird, ist durchaus fraglich. All dies sind Konflikte, die aufgrund des Unabhängigkeitswillen von Nationen bzw. ethnischer Gruppen ein zentrales politisches Problem unserer Zeit darstellen. So hat sich seit Gründung der UNO 1945 die Zahl ihrer Mitgliedstaaten nahezu vervierfacht - ein Umstand, der einen Trend zur Fragmentierung der Staatenwelt zu belegen scheint. Dabei ist nicht nur die territoriale Integrität autoritär beherrschter Staaten, die Teilen ihrer Bevölkerung (oft nationale Minderheiten) ­grundlegende Menschen- oder Bürgerrechte vorenthalten, durch separatistische Gruppen und deren Sezessionsbestrebungen bedroht. Vielmehr ­sehen sich damit auch demokratische, westlich geprägte Rechtsstaaten wie Kanada, Großbritannien, Spanien, Italien, Frankreich oder Belgien konfrontiert. Erinnert sei hier nur an die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens oder an Anschläge korsischer Separatisten. Letztlich finden sich in allen Teilen der Erde Staaten, die sich auf ihrem Territorium mit separatistischen Strömungen auseinandersetzen müssen. Das Streben nach Sezession stellt somit, wenig verwunderlich, einen Hauptgrund für kriegerische Konflikte dar. Martin Grosch möchte daher mit seinem Buch einen Beitrag leisten, den Blick vor allem für derzeitige Sezessionsbestrebungen - gerade auch in Europa - und die damit einhergehenden Folgen zu schärfen. Dabei zeichnet er die kulturellen, historischen sowie geografischen Hintergründe früherer und aktueller Separatismusbestrebungen nach. Warum zerfallen Staaten, was sind die Motive für Separatismus und Sezessionen, welche Rolle spielen dabei die Idee der Nation bzw. nationalistische Beweggründe, wie laufen derartige Prozesse ab und warum dann häufig mit Gewalt und eben leider nicht friedlich? Und - zuletzt - wie können sich neu entstehende Staaten international behaupten? Auf solche und weitere Fragen gibt das Buch umfassende Antworten.

Autorenportrait

Dr. Martin Grosch, geboren 1969, Ministerialrat, Studium der Geschichte und Geographie in Marburg, Promotion zum Thema Johann Victor Bredt. Konservative Politik zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. Eine politische Biographie. Langjährige Tätigkeit als Lehrer für Geschichte, Erdkunde, Politik und Wirtschaft an Oberstufengymnasien. Dort Durchführung zahlreicher geo- und sicherheitspolitischer Seminare. Vorträge an der Universität Köln und an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg zu historischen und geo- bzw. sicherheitspolitischen Themen und Lehrauftrag 2009/10 an der Universität Köln zum Thema Karten im Geschichtsunterricht. Mitglied der Namibia Scientific Society, der Scientific Society Swakopmund und des Arbeitskreises Militärgeschichte. Oberstleutnant d.R., derzeit beordert beim Landeskommando Hessen als Pressestabsoffizier. Zahlreiche Reisen in das südliche Afrika, in den Nahen Osten, China, Russland und Osteuropa. Dabei intensiver Austausch mit relevanten Akteuren und Recherche vor Ort.

Leseprobe

Während 1992 die damaligen politischen Vertreter der heutigen Staaten Tschechien und Slowakei beschlossen, künftig getrennte Wege zu gehen, und dann mit Beginn des Jahres 1993 ihre Staatenunion, die Tschechoslowakische Föderative Republik (CSFR), auf friedlichem Wege auflösten, zerfiel parallel mit Jugoslawien ein weiterer Staat in Europa - allerdings hier auf gewaltsame Weise unter Einsatz militärischer Mittel. Mittlerweile beerben sieben Staaten - Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo - die frühere Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien; wobei die beiden Letztgenannten allerdings hinsichtlich ihrer Souveränität bzw. ihrer internationalen Anerkennung bis heute zu Diskussionen Anlass geben. Anhand dieser einleitenden Beispiele, von denen der Zerfall Jugoslawiens im Verlauf des Buches noch ausführlich geschildert wird, lassen sich schon die zentralen Probleme skizzieren, die in dieser Darstellung untersucht werden sollen. Warum zerfallen Staaten, welches sind die Motive für ­Separatismus und Sezessionen, welche Rolle spielen dabei die Idee der Nation bzw. nationalistische Beweggründe, wie laufen derartige Prozesse ab und warum dann häufig mit Gewalt und eben leider nicht friedlich? Und - zuletzt - wie können sich neu entstehende Staaten international behaupten? All diese Fragen gilt es einer näheren Betrachtung zu unterziehen, zu diskutieren und zu bewerten. Die heutige Menschheit gliedert sich in fast 200 Nationen, die in einem eigenen Staatswesen oder als größere Minderheit in einem Staat leben; ­hinzu kommen zahlreiche weitere ethnische Gruppen, die für sich den Anspruch reklamieren, eine Nation zu sein, zum Teil friedlich, zum Teil aber auch auf gewaltsame Weise. So lassen sich wissenschaftlichen Schätzungen zufolge auf der Welt insgesamt rund 8000 Nationen identifizieren. Dabei verändern sich nationale Identitäten mit der Zeit; sie können sich verstärken oder abschwächen. Und nach und nach können auch neue Nationen entstehen. Ein gewisser Prozentsatz von ihnen wird dann irgendwann die staatliche Unabhängigkeit anstreben, sodass es nach wie vor ein großes ­Reservoir für Separatismus gibt. Nicht nur scheint also trotz Globalisierung nach wie vor für die meisten Menschen keine Bindung von so großer Bedeutung zu sein wie die an die eigene Nation - auch wenn dieser Begriff alles andere als einfach und plakativ zu definieren ist. Separatistische Bewegungen reklamieren in diesem Zusammenhang jedenfalls ein Recht auf politische Selbstbestimmung von Völkern, aus dem sie ein Sezessionsrecht im Sinne einer normativen Vorstellung des europäischen Nationalismus des 19.Jahrhunderts ableiten. Auch wenn die vom Nationalgefühl so hoch bewertete Unabhängigkeit der Nation häufig eine Illusion bzw. Utopie darstellt - allein schon oft aufgrund der Kleinheit des Gebietes, der geringen Kopfzahl einer nach Selbstständigkeit strebenden ethnischen Gruppe oder infolge ökonomischer Schwäche -, so finden sich separatistische, auf den Gedanken der eigenen Nation beruhende Tendenzen weltweit; getreu der Devise des 19.Jahrhunderts 'Jede Nation ein Staat - jeder Staat eine Nation', die augenscheinlich auch im 21.Jahrhundert noch eine erhebliche Faszination ausübt. Schließlich haben auch neuere und aktuelle Bindungen, Bezugspunkte bzw. Identifikationen wie beispielsweise der Kommunismus im 20.Jahrhundert oder nach dem Zweiten Weltkrieg die Idee und praktische Umsetzung eines möglichst vereinten Europas es nicht oder nur teilweise vermocht, den ­hohen Stellenwert der Nation aufzuheben. Nationen stellen somit bis ­heute eine Realität dar. Und das Nationalgefühl, in übersteigerter Form der ­Nationalismus, bildet auch in Zeiten der Demokratie und europäischen Kooperation eine politische Kraft ersten Ranges. Nach wie vor sind die Konflikte, die aus dem Unabhängigkeitswillen mancher Nationen bzw. ethnischer Gruppen und ihrer tatsächlichen Abhängigkeit von anderen Volksgruppen oder Staaten, sei es in wirtschaftlicher (man denke hier nur an internationale Handelsverflechtungen und Lieferketten), politischer oder militärischer Hinsicht, resultieren, ein zen­trales politisches Problem unserer Zeit. So hat sich seit Gründung der Vereinten Nationen 1945 die Zahl ihrer Mitgliedstaaten nahezu vervierfacht - ein Umstand, der einen Trend zur Fragmentierung der Staatenwelt zu belegen scheint. Dabei ist nicht nur die territoriale Integrität autoritär beherrschter Staaten, die Teilen ihrer Bevölkerung (oft nationale Minderheiten) grundlegende Menschen- oder Bürgerrechte vorenthalten, durch separatistische Gruppen und deren Sezessionsbestrebungen bedroht. Mit Sezessionsbewegungen sehen sich vielmehr längst auch demokratische, westlich geprägte Rechtsstaaten wie Kanada, Großbritannien, Spanien, Italien, Frankreich oder Belgien konfrontiert. Erinnert sei hier nur an den politischen Dauerstreit in Belgien, die frühere Separatismusbewegung der ETA im Baskenland, die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens oder an Anschläge korsischer Separatisten. Letztlich finden sich in allen Teilen der Erde Staaten, die sich auf ihrem Territorium mit separatistischen Strömungen auseinandersetzen müssen. Nur in den seltensten Fällen wurde aber ein Sezessionsrecht in der Verfassung von Staaten verankert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dies lediglich in vier Staatsverfassungen anerkannt: in der Verfassung Burmas aus dem Jahre 1947, in der Präambel und in Art. 1 Abs. 2 des Verfassungsgesetzes über die tschechoslowakische Föderation vom 27.10.1968, in Abschnitt I des Einführungsteiles der Verfassung Jugoslawiens vom 21.2.1974 und in Art. 72 der Verfassung der UdSSR vom 7.10.1977. Keines dieser Sezessionsrechte existiert heute noch. Das burmesische Sezessionsrecht wurde 1974 wieder abgeschafft. Das jugoslawische und das sowjetische Sezessionsrecht wurde nicht gewährt, sodass die gewünschten Sezessionen teilweise blutig erkämpft wurden. Lediglich im Fall der ehemaligen Tschechoslowakei könnte das in der Verfassung garantierte Sezessionsrecht einen positiven Einfluss auf die friedliche Trennung der beiden Staaten gehabt haben. Das Streben nach Sezession stellt somit, wenig verwunderlich, einen Hauptgrund für kriegerische Konflikte dar. 1994 hatten 49 Prozent der 39 weltweit stattfindenden Kriege einen sezessionistischen Hintergrund, 1996 waren es 40 Prozent und 2008 wurden beispielsweise rund 100 ­bewaffnete Autonomie- und Sezessionskonflikte gezählt, von denen 20 - gemessen an der Intensität der Gewaltanwendung - bereits die höchste Eskalationsstufe erreicht haben. Das Völkerrecht kennt zwar Regeln zur Austragung von Bürgerkriegen, bleibt jedoch bei der Frage nach der Rechtmäßigkeit von Sezessionen uneindeutig, hat sich doch bis dato weder ein konkreter Anspruch auf eine Sezession noch ein universelles Verbot einer solchen he­rausgebildet. Letzten Endes liegt es im eigenen Ermessen und in eigener Verantwortung eines Staates, ob er ein sich für unabhängig erklärtes Territorium als souveränen Staat anerkennt oder nicht. So kann es durchaus der Fall sein, dass trotz höchst zweifelhafter Staatsqualität ein neues territoriales Gebilde eine breite Anerkennung erfährt (wie z.B. bezüglich Bosnien-Herze­gowina oder Südsudan) und in die Staatengemeinschaft integriert wird. Umgekehrt kann es vorkommen, dass aus rein taktisch-politischen Gründen einem funktionierenden Staat von zahlreichen - oft politisch äußerst bedeutenden - Staaten die Anerkennung verweigert wird, was ihm eine Partizipation an den internationalen Beziehungen natürlich in erheblichem Maße erschwert. Diese Nichtanerkennung trifft z.B. auf ­Somaliland zu, das sich vom Failed State Somalia für unabhängig erklärt hat. Vor allem kommt es in zahlreichen afrikanischen und asiatischen Staaten immer wieder zu teils bewaffneten Sezessionskonflikten, wie z.B. in ­Niger, Nigeria, Äthiopien (Stichwort Tigray), Myanmar, auf den Philippinen, im Süden Thailands oder im Nordosten Indiens, um nur einige wenige ...