Beschreibung
Inmitten der studentischen Unruhen erschien 1969 Ulrich Sonnemanns Negative Anthropologie. Mit ihr legte der Philosoph und politische Schriftsteller einen zeitkritischen Kommentar und zugleich eine negativ-dialektische Durchdringung des Freudomarxismus der Studierenden vor. Das Werk bestätigte seine notorische Bekanntheit als eingriffsfreudiger kritischer Humanist und bewies seine Nähe zur Kritischen Theorie des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Sonnemanns Sozialphilosophie problematisiert die Annahme einer vermeintlichen Naturhaftigkeit in den Selbstbildern des Menschen, wie sie Anthropologie, Marxismus und Psychoanalyse seiner Zeit entwerfen. Im Modus der bestimmten Negation erforscht Sonnemann die Widersprüche anthropologischer Theorien, deren Verstrickungen in gesellschaftliche Praxis er unnachgiebig ins Bewusstsein ruft. Damit ist negative Anthropologie Einmischung in ihren Gegenstand: Sie will die menschliche Welt verstehen, um das Verstandene zu verändern - indem sie daran erinnert, dass es menschliche Aufgabe bleibt, eine dem Gattungswesen gerechte Welt herzustellen. Angesichts eines wiedererwachten Interesses an der Negativen Anthropologie befragt der Band Sonnemanns Denken auf seine Aktualität. Anhand akuter Gegenstände und Fragen demonstrieren die Beiträge die Möglichkeiten kritischer Eingriffe im Modus negativer Anthropologie. Ideengeschichtliche und systematische Argumentationen werden zusammengeführt und die Denkfigur einer negativen Anthropologie auf diese Weise als immer noch dringlicher Ansatz der Kritischen Theorie erhellt. Entstanden sind dabei sowohl geschichtskritische als auch ästhetische, religionsphilosophische und sprachkritische Anknüpfungen an Sonnemanns Werk. Die Negative Anthropologie erscheint dabei nicht als inventarisierbares Dokument einer abgeschlossenen Zeitgeschichte, sondern als ein Verfahren, in aufmerksamer Tuchfühlung mit dem Tagesgeschehen zu bleiben. Mit Beiträgen von Hannes Bajohr, Roger Behrens, Daniel Bella, Konstantin Bethscheider, Sebastian Edinger, Anne Eusterschulte, Paul Fiebig, Lea Fink, Simon Godart, Henning Gutfleisch, Tobias Heinze, Martin Mettin, Marc Rölli, Mario Cosimo Schmidt, Jochen Schubert, Elvira Seiwert, Dirk Stederoth und Christine Zunke.
Autorenportrait
Tobias Heinze promoviert am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main mit einer sozialphilosophischen Arbeit zur Schellingrezeption der Kritischen Theorie und der ökologischen Krise. Er studierte Soziologie und Politische Theorie in Frankfurt, Darmstadt, Münster und New York. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sozialphilosophie, Kritische Theorie, Naturphilosophie und psychoanalytische Sozialpsychologie. Martin Mettin (Dr.) lehrt und forscht als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ausbildungsinstitut für Humanistische Lebenskunde Berlin-Brandenburg. Er studierte Philosophie sowie Sozial- und Rechtswissenschaften in Leipzig und Berlin. 2019 erfolgte die Promotion an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Praktische Philosophie, Kritische Theorie, Humanismus, Sprachphilosophie und Ästhetik. Im Neofelis Verlag erschien von ihm Echo im Sprachwald. Figuren dialektischen Hörens bei Walter Benjamin.