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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783038671015
Sprache: Deutsch
Umfang: 304 S.
Auflage: 1. Auflage 2024
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Jura, 1911. Eine Frau geht verzweifelt zum 'Teufelsmaul' (einem realen, vom Menschen geschundenen Ort, Le Gouffre de Jardel im französischen Jura) und erfleht - vergeblich - das Ende ihrer neuen Schwangerschaft. Sie wird zur Ahnin von vier Frauen - Tochter Aloisia, Enkelin Amalia, Urenkelin Catherine und Ururenkelin Vivian. Vier Blüten einer Pflanze, die eine Infloreszenz, einen Blütenstand, bilden. Ihre höchst individuellen Schicksale kreuzen sich auf rätselhafte, spannende Weise. Dieses Familienfresko umfasst nahezu ein Jahrhundert (von 1911 bis 2008). Verbindendes Motiv der äusserst unterschiedlichen Lebensläufen, Lebensauffassungen und -anpassungen ist der 'Garten' in vielerlei Varianten: Da ist der bäuerliche Nutzgarten im französischen Jura, der sterile Stadtgarten in Frankreich, eine Kleingartenparzelle in Genf und ein wiederaufgeforstetes Stück Natur in Argentinien. Alle ein Spiegel der jeweiligen Frau, ihrer Leiderfahrung wie auch ihrer Selbstverwirklichung. Ein Text an der Schnittstelle zwischen Nature Writing, Feminismus und ökologischem Bewusstsein.

Leseprobe

Schon von hier aus meinte sie, den fauligen Geruch wahrzunehmen, der aus dem Loch aufstieg. Ein unheilvoller Ort. 'Teufelsmaul' nannten ihn die Leute, aus gutem Grund. Sie stellte ihren Korb ab und ging vorsichtig weiter. Mit kleinen Schritten tastete sie sich voran, um mögliche Fallen zu umgehen. Um den Schlund herum wuchs dichtes, leuchtendes Gras, grün strahlend im Vergleich zum Rest der Wiese. Eine Fata Morgana des Lebens, dachte sie. Ein Köder, um sie vom wahren Wesen des Orts abzulenken. Sie hatte schon etliche Geschichten über diesen tiefen, unerreichbaren Krater gehört, dessen Boden sich zu einer ungeheuerlichen, grauenvollen Welt öffnete. Dort wimmelte es gewiss nur so von blinden Schlangen und riesigen dicken Würmern. Übelkeit befiel sie. () Als sie am Rand des Abgrunds ankam, entblösste sie ihren prallen Bauch. Gleich die ersten Anzeichen hatten sie erschaudern lassen. Es gab keinen Zweifel, sie hatte das schon oft durchgemacht. Dieses Mal aber konnte sie sich nicht mit einer neuen Schwangerschaft abfinden - ein weiterer Mund, der gefüttert werden müsste, war unvorstellbar. Sie verstand nicht, wie es trotz der grossen Mengen an Salbeitee, die sie seit den ersten Anzeichen trank, weiter hatte wachsen können. Und auch die schwarzen Pflanzen, die sie bei Mariette geholt hatte, widerlich und bitter, hatten es nicht austreiben können. Sie lehnte sich, so weit es ging, über den Schacht und starrte in die Dunkelheit, die an den bemoosten Innenwänden nagte, starrte in diesen dunklen, gefrässigen Rachen, der alle Unerwünschten verschlang. Eines war sicher: Dieser Ort hatte die Macht, alles zu schlucken, was verschwinden sollte.