Beschreibung
Vorwort "20% Georgiens sind von Russland okkupiert." Diesen Satz werden Sie heute überall hören - bei alltäglichen Themen in den Medien, in internationalen Reden und Berichten, hinter den Kulissen, in privaten Gesprächen. Auf den ersten Blick ist es ein trockener, informativer Satz, aber für Georgien ist er mit einer großen Tragödie verbunden: Abchasien und Samatschablo sind verloren, Soldaten sind gefallen, eine friedliche Bevölkerung wurde mit Krieg überzogen, zerstörte und verlassene Häuser, dem Erdboden gleichgemachte Dörfer, Flüchtlinge. Es ist der Schmerz, der die in diese Sammlung eingebrachten, sich in schöpferischem Individualismus und Schreibstil sehr voneinander unterscheidenden Autorinnen in ihren ganz unterschiedlichen Texten, Kurzgeschichten, Miniaturen und Romanauszügen vereinigt. Wie nehmen die georgischen Autorinnen den Krieg wahr? Die Zeit dabei und die Zeit danach? Wie hat sich der Krieg in ihrem Bewusstsein abgesetzt? Wie kommt er wieder zum Vorschein? Mit welchen Gefühlen wird er verschmolzen? Wird der Leser Teil dieser Emotionen? Wir denken - ja. Der Leser wird ein Teil dieser Texte werden. Die Personen und literarischen Helden dieser Texte sind ja unsere Zeitgenossen, Menschen, deren Leben der Krieg vor unseren Augen zerstörerisch verändert hat und in deren Zukunft er wie ein ewiges Brandmal eingeprägt ist. Dieses Buch ist ein friedlicher Protest georgischer Schriftstellerinnen gegen Krieg und Okkupation, ein Ausdruck ihrer Solidarität mit den Soldaten, den Flüchtlingen und mit den in den Grenzgebieten und in den okkupierten Zonen lebenden Menschen. Die Okkupierung ist nicht zu Ende. Sie läuft weiter als "schleichende Okkupation" oder "Borderisation". In unserer Heimat geraten die Häuser unserer Bürger, ihre Weinfelder und Gärten und die Gräber ihrer Vorfahren oft hinter Gitter, die der Feind jeden Tag über die Grenze langsam vorschiebt. Dieses Buch erzählt Geschichten von Kriegen, die so alt sind wie wir, erzählt von im Krieg umgekommenen Verwandten, Freunden und Nachbarn, von Sehnsucht und Liebe. Dieses Buch ist nicht nur eine trockene Information. Es ist eine laute Botschaft an die zivilisierte Welt: 20% Georgiens sind von Russland okkupiert. Wir wollen keine Grenzen in unserem Land. Lela Zuzkiridse
Autorenportrait
Irma Schiolaschwili (Shiolashvili), geboren am 29.03.1974 in Zitelzkaro (heute: Dedopliszkaro) in Ostgeorgien, studierte Journalistik an der Staatlichen Iwane-Dschawachischwili-Universität Tiflis und moderierte danach als Fernseh- und Radiojournalistin literarische Sendungen beim Staatlichen Georgischen Fernsehen. 1998 begann sie ein Promotionsstudium an der Akademie der Wissenschaften in Tiflis und an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, das sie 2005 mit der Promotion über deutsche und georgische politische Nachkriegslyrik abschloss. Sie arbeitet freiberuflich als Journalistin und Dozentin in Deutschland. Publikationen in Georgien: Nichtexistierendes Wort (1992), Der blaue Bogen (1996), Spur der Träne (2002), Eine Brücke aus bunten Blättern (2009), Montag (2013), Oktober (2020). Publikationen in Deutschland: Eine Brücke aus bunten Blättern (2012), Kopfüber (2018). Übersetzungen ins Deutsche, Englische, Französische und Russische.