Beschreibung
Mein jüngster Sohn, Joël, sagte einmal zu mir: "Papi, was ist weiter weg: der Mond, Frankreich, oder die eigenen Augen?" Ich schaute ihn fragend und erstaunt zugleich an. Was könnte man darauf antworten? Mein Kleiner nahm mir die Antwort vorweg: "Papi, es ist ganz einfach: Frankreich ist weit weg, aber wir können hinfahren. Der Mond ist noch weiter weg, aber man kann ihn sehen, wenn er am Himmel steht. Aber die eigenen Augen kann man gar nicht sehen, obwohl sie ganz nah sind!" Diese tiefe Weisheit aus dem Mund eines Neunjährigen zu hören, machte mich sprachlos - und erfüllte mich zugleich mit einer großen Freude; hatte es doch etwas Leichtes an sich, was uns Erwachsenen allzu oft fehlt. Überhaupt ist es immer wieder der Bezug zur eigenen Kindheit und zu all den Kindern, denen ich im Laufe meines Lebens begegnet bin, was mein Leben bereichert hat. Jede und jeder von uns war ja mal Kind, aber oft gehen einem die essenziellen Aspekte davon verloren. Oder sagen wir besser - sie geraten aus unserem Blickwinkel. Das ist auch einer der Gründe, warum dieses Buch entstanden ist: dass wir uns immer öfter an den Blickwinkel eines Kindes, oder besser gesagt: an unser "Ich als Kind" erinnern mögen. Denn wir tragen von unserer Geburt an unsere innere Weisheit in uns. Und die zu entdecken, bzw. wiederzuentdecken, ist vielleicht das große Ziel unserer gemeinsamen Reise.
Leseprobe
Die Sonne blinzelt durch die weißen Winterwolken, und ich erinnere mich wieder einmal an die Frage von Joël - nach dem Mond, nach Frankreich und nach den eigenen Augen. Seitdem denke ich immer wieder an den Sinn dahinter, und wie und was ich wohl als Kind gesprochen haben mag - ob mit meinen Eltern oder Freunden oder wem auch immer. Als ich so dasitze auf dem Berg, in der tief verschneiten Landschaft, tauche ich so langsam ein in das Gefühl, wie es damals wohl war. Und mit einem Mal erinnere ich mich an eine dieser Phasen meines Lebens: Der weißblaue Himmel und rund 25 Grad draußen lockten mich mal wieder hinaus in den Wald. Ich befand mich auf einer Lichtung, von der aus ich nicht mehr zurück wusste, nachdem ich wohl irgendwie dorthin gekommen sein musste. Es war zu einer Zeit, als ich mit acht Jahren an meinen freien Nachmittagen begann, mit dem eigenen Fahrrad erste Erkundungsreisen in die nähere Umgebung zu unternehmen. Ich hörte plötzlich die Schreie und Rufe der Vögel in einer bemerkenswerten Lautstärke. Wollten sie mir etwas mitteilen? Ich spürte auf jeden Fall, dass ich mit meinem Grübeln darüber, wie ich denn eigentlich hier hergeradelt war, nicht mehr weiter kam. Ich war an so vielen Wegkreuzungen abgebogen, dass ich jetzt nicht mehr wusste, wie ich wieder nach Hause kommen sollte. Die Sonne, die noch immer ziemlich hoch am Nachmittagshimmel stand, schien mir auf einmal zuzurufen: "Fahr einfach los und vertraue auf dein Gefühl. An jeder Weggabelung wirst du spüren, wie du zu fahren hast!" In diesem Vertrauen fuhr ich dann auch los. Nach und nach tauchte ich wieder tiefer in den Wald ein. Ich kam an neue Stellen, an denen ich auf dem Hinweg nicht vorbeigekommen war. Trotzdem vertraute ich darauf, auf dem richtigen Weg zu sein. An einer Stelle standen eine große Birke und eine riesige Linde. Dort spürte ich auf einmal eine enorme Kraft, die von den beiden Bäumen auszugehen schien. Sie wollten mir bestimmt den Weg nach Hause zeigen. Und mit einem Mal war ich auch schon draußen auf dem Feldweg, der zur Verbindungsstraße zwischen dem Wald und meinem Heimatort führte. Im Nu war ich dann auch wieder zuhause, wobei ich den Eindruck hatte, dass ich mehrere Stunden weg gewesen war. Tatsächlich waren es kaum zwei Stunden gewesen; und meine Eltern hatten mich nicht einmal vermisst. Meine Erlebnisse mit den Bäumen, den Tieren und der Sonne behielt ich jedoch vorläufig für mich. Dieses Erlebnis sollte sehr prägend sein, trug es doch alles in sich, was mir, vor allem in meiner Kindheit und Jugend, wichtig und schön erschien. Aber eins nach dem anderen: Wie war ich denn wirklich dorthin gekommen, in den Wald? Was hatte mich soweit geführt, dass ich auf einmal dort stand? Langsam steigen Erinnerungen an eine "ganz frühe Zeit" in diesem Leben in mir auf: Zu jener Zeit, als der erste Mensch den Mond betrat, entschied auch ich mich, als kleiner Punkt, diese Reise anzutreten: Im November 1969 landete ein kleiner Lichtstrahl bei mir und lockte mich zu meinem Sternenfenster. Und ich sah den Ort auf der Erde, an den ich reisen sollte. Bis dorthin war es ein langer Weg - nach normalem menschlichem Ermessen. Mir als kleinem Punkt kam es damals so vor, als würde ich eine lange Rutschbahn herunterrutschen - innerhalb von wenigen Sekunden. Angekommen auf der Erde bin ich schließlich an einem heißen Augusttag. Es war damals recht still in dieser Gegend. Die Stadt Adelmannshausen, in der ich zur Welt kam, war in jenen Tagen ziemlich unbedeutend und die Ruhe dort fast gespenstisch. Aber in meinen ersten Lebenstagen war es vor allem wichtig, dass ich die Wärme und die wunderbare Milch meiner Mutter genießen durfte. Der erste Winter brachte wohl viel Schnee, und so konnte ich bereits damals spüren, was es heißt, in der Mitte Europas zu leben: Es ist recht frisch und immer wieder neblig, zumindest in der dunkleren Hälfte des Jahres. Aber die Zeit verging, und Tag um Tag erfuhr ich mehr über mein Elternhaus und die Umgebung meines Hei