Beschreibung
Die awarische Sprache ist eine von circa 40 Sprachen im Nordkaukasus (staatlich zu Russland gehörend), von denen etwa 22 über eine eigene nationale Literatur verfügen. Die Awaren (etwa 1 Million Angehörige) stellen ungefähr 29,2 % (850 000, 2010) der Bevölkerung der Teilrepublik Dagestan dar, jedoch leben Awaren auch außerhalb Dagestans in Russland. Daneben sind 53 000 Awaren in Aserbaidschan und ebenso viele in der Türkei zu Hause. Im deutschsprachigen Raum verbindet man mit dem Ausdruck Awaren ganz bestimmte historische Ereignisse. Sie waren im Mittelalter Machthaber eines riesengroßen Reiches, wobei Awaren die herrschende Schicht des Reiches benannte. Nach den Eroberungskriegen Karls des Großen verloren sie zu Beginn des 9. Jahrhunderts an Bedeutung. Die Frage, ob das Kaukasusvolk in der russischen Teilrepublik Dagestan Verwandte oder Nachfahren dieser historischen Awaren sind, ist sehr umstritten. Die Eigenbezeichnung der kaukasischen Awaren ist Magarulal. Die awarische Sprache gehört zur nordostkaukasischen Gruppe und besitzt zehn Dialekte in zwei Hauptgruppen: Südawarisch und Nordawarisch. Sie ist keine indogermanische Sprache und somit nicht ansatzweise mit dem Russischen verwandt. Vorläufer der heutigen Sprache war möglicherweise die kaukasisch-albanische (agwanische) Sprache. In Dagestan gehört das Awarische zu den 14 offiziell für die Kommunikation staatlich anerkannten, gleichberechtigten Hauptsprachen, in denen gelehrt und gedruckt wird (Bücher, Presse), in denen Theateraufführungen stattfinden (in Machatschkala oder im Sommer in den Gebietszentren und Dörfern) und in denen Estrada (Art moderner Schlager) gesungen wird In diesen Sprachen werden auch Fernsehsendungen angeboten. Awarische Zeitschriften sind Literarisches Dagestan, Freundschaft, Falkenkind (für Kinder), Die Frau Dagestans sowie 14 Tageszeitungen und die Wochenzeitung Wahrheit. Die meisten dieser Publikationen sind auch im Internet präsent. Darüber hinaus werden Regionalzeitungen in awarischer Sprache herausgegeben wie Der Gärtner, Voran, Die Zeit Die Stimme Zumanda, Einheit, Neues Leben u. a. (insgesamt 16). Auch regionales Fernsehen in awarischer Sprache wird angeboten. Zurzeit wird verstärkt daran gearbeitet, nationale Bücher als elektronische Bücher anzubieten. Trotz aller dieser Angebote gilt die awarische Sprache als gefährdete Sprache, da sie immer weniger als Muttersprache erlernt und innerhalb weniger Generationen wahrscheinlich nicht mehr existieren wird. Meist sind bedrohte Sprachen Minderheitensprachen in ihren jeweiligen Ländern, die Sprecher tendieren zur jeweils dominanten Sprache. Im Falle der awarischen Sprache ist die dominierende Sprache das Russische. Durch die Abwanderung aus dem Dorf und die Ballung der Bevölkerung Dagestans in der Hauptstadt Machatschkala und anderen Gebietszentren, wo eine durchmischte Bevölkerung lebt, die sich gegenseitig fast nur auf Russisch verständigen kann, ist diese Entwicklung eingetreten. Andere Faktoren sind Mischehen, Auswanderung ins russische Kerngebiet, eine ungenügende Lehrerzahl und -ausbildung in den nationalen Sprachen, eine starke Ausbildung in der russischen Sprache in Schulen und Hochschulen u. v. m. Eine Befragung (2015) von 7290 Schülern Dagestans der 1. bis 9. Klasse ergab, dass 28 % ihre nationale Sprache überhaupt nicht kennen, 23 % die Sprache mittelmäßig beherrschen, etwa 33 % die nationale Sprache ein wenig verstehen und nur 18 % frei sprechen. Das ist schon ein alarmierendes Zeichen. Uns ist es daher ein Anliegen, die wertvollen Dokumente nordkaukasischer Literaturen für die Nachwelt zu bewahren, solange noch Sprechende oder besser gesagt Verstehende für Übersetzungen zur Verfügung stehen. Eine Hörprobe des Awarischen biete ich im Internet unter der Adresse: www.kaukasische-literaturen.jimdo.com/hörpoben/ an, wo auch andere kaukasische Sprachen mit literarischen Texten akustisch vorgestellt werden. Die Schriftlichkeit der awarischen Sprache ist seit dem 9. Jahrhundert mit georgischen Buchstaben bekannt. Davon konnte ich mich selbst überzeugen, als ich im Jahre 2013 in Dagestan weilte und auf einer Reise in die Berge zufällig Zeuge von Steinausgrabungen mit georgischer Schrift wurde. Ab dem 15. Jh. wurde mit arabischer Graphik geschrieben, seit 1928 mit lateinischem Alphabet und schließlich mit dem Jahre 1937 bis zum heutigen Tag mit kyrillischen Zeichen und Zusatzzeichen. Die awarische Literatur entwickelte sich ab dem 10. Jh. in arabischer, persischer und türkischer Sprache. Seit dem 18. Jh. wurde auch in der eigenen Muttersprache geschrieben, zunächst vor allem Lyrik. Als Begründer der awarischen Literatur gelten Aldirilaw aus Rugudshi (1857-1882) und Tashutdin aus Batlaitsch (1867-1909). Neben der awarischen Literatur auf Awarisch entwickelte sich eine Literatur auf Russisch. So kann es nicht verwundern, dass auch eine russischsprachige awarische Autorin (Ganijewa) in unseren Prosaband aufgenommen wurde. Was ist bisher aus der awarischen Literatur ins Deutsche übertragen? Seit dem Jahre 1862 wurden Märchen, Sprichwörter, Fabeln, Aussprüche und Lieder ins Deutsche übersetzt, zunächst von deutschen Wissenschaftlern aus St. Petersburg, dann von Wissenschaftlern aus Deutschland, nach dem Zweiten Weltkrieg durch Einzelpersonen und Verlage in Deutschland. Wenn ich zwei Schriftsteller erst einmal ausschließe, erschienen bis zum Jahre 2000 aus der awarischen Literatur neben der Folklore etwa 18 einzelne Erzählungen bzw. Gedichte in Zeitschriften wie Die Sowjetfrau, Sowjetliteratur, Sputnik Freie Welt sowie Sinn und Form oder in einem Buch mit verschiedenen Nationalliteraturen, meist aus dem Russischen übertragen (DDR). Das ist nicht viel. Allerdings sind ein awarischer Autor mit einem ganzen Buch und ein zweiter Autor sogar mit mehreren Büchern in deutscher Sprache hervorgetreten: Ein für die Awaren außerordentliches Ereignis war Halil Beg Mussayassuls Publikation Das Land der letzten Ritter. Eine Erzählung aus den kaukasischen Bergen, aufgeschrieben von Luise Laporte, München 1936, von dem in Machatschkala manchmal sogar voller Stolz behauptet wird, sie sei in zwei Auflagen erschienen, wofür ich aber keine Belege gefunden habe. Der Autor Mussayassul (geb. 1896 in Gunib - gest. 1949 in New York) lebte lange Zeit als Maler in Deutschland (München) und erzählte Erinnerungen und die Geschichte seines Volkes der Verlagsmitarbeiterin Laporte, die alles aufschrieb und das Buch herausgab. Einen Ausschnitt aus diesem Buch finden sie unter den hier abgedruckten Texten. Und schließlich das zweite, noch bedeutsamere Ereignis, gar eine Sensation, denn ein zweiter Schriftsteller der Awaren erringt Weltruhm: Rassul Gamsatow (1923-2003) wird im Ausland der bekannteste kaukasische Autor des 20. Jahrhunderts und in viele große Sprachen wie Französisch und Englisch übersetzt, aber auch ins Polnische, Ungarische, Koreanische, Arabische, Rumänische, Tamilische Die russische Wikipedia spricht von Millionenauflagen in Dutzenden von Sprachen. In der DDR erschienen folgende Bücher von Gamsatow: Kaukasische Rhapsodie, Berlin 1967, Sinn und Trinksprüche, Berlin 1979 und Der Bräutigam zahle mit Liebe, Berlin 1988, aber den grössten Erfolg errang der Autor mit dem Roman Mein Dagestan, Moskau 1972 (dt. Berlin 1975). Daneben wurden von ihm über zwei Dutzend Gedichte, Epigramme, Märchen, Trinksprüche in Zeitschriften und Sammelbänden abgedruckt. Gamsatow war vor allem Lyriker, neben seinem Roman Mein Dagestan ist keine Prosa bekannt. Deshalb haben wir uns entschlossen, diesen Autor in unserem Band der awarischen Prosa nicht fehlen zu lassen und einen kleinen Abschnitt aus diesem Werk abzudrucken. Da der Roman aus vielen kleinen fröhlichen, traurigen, spannenden Episoden besteht, bietet sich das hier an, obwohl ich mich gewöhnlich gegen einen auszugsweisen Abdruck von Werken ausspreche. Leider existiert der Verlag Der Morgen Berlin nicht mehr, der einst das Werk herausgegeben hat. Auch war es mir...
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