Es steckt vielleicht ja doch so viel Neues und Liebes und Wildfremdes und irgendwie sogar Schönes in jedem Einzelnen von uns kleinen Idioten, und das sehen wir aber nie, die ganze blinde Zeit über, weil ja leider niemand von uns aus seiner viel zu engen Haut ausbrechen kann, in der er immer schon wie ein armes krankes Tierchen eingesperrt ist. "Lassts mich halt endlich raus hier, zefix, bitte." Dieses Zitat von Protagonist Flori beschreibt eigentlich perfekt schon den ganzen Roman in einem (langen) Satz. Flori kämpft. Und Flori verzweifelt mehr als einmal auf seiner Reise bis ins Bodenlose. Aber Flori ist auch ekstatisch, verliebt, berauscht am Leben. Und meistens alles gleichzeitig.
Aber von Anfang an: Es ist das Jahr 1983. Flori, "Wehrersatzdienstleistender (21), naturschlank, große Augen (kirschholzbraun), sucht..." lebt bei seinen Eltern in Wolfratshausen (bei Bad Tölz), dort ist er auch aufgewachsen, von dort muss er dringend weg. Schon sein ganzes Leben ist er anders als die anderen, das weiß er, das wissen die anderen. Er selbst weiß schon immer, dass er auf Männer steht und auch das wissen vermutlich alle anderen, es ist in dem engen Dorfkorsett aber selbstredend kein Platz für "anders" bzw gar "unnormal". Als Flori dann auch noch in dem Damen-Kaufhaus, in dem er arbeitet, feststellt dass ihm das rote Satinkleid in der Auslage besser gefällt als alles was er je zuvor getragen hat und es kurzerhand mitgehen lässt eskaliert die Situation.
Er wird erwischt und weiß: jetzt ist es Zeit, jetzt bleibt nur noch München. Nur mit einer Reisetasche gerüstet flieht er zu einer alten Freundin. Gemeinsam mit ihr rutscht er in die Münchner Untergrundszene wo er, zunächst als faszinierter Beobachter vom Rand der Tanzflächen, alles erlebt was er sich immer erträumt hat: Rausch, Ekstase, Leidenschaft, Eifersucht und vor allem: Männer, die wie er ihren Platz suchen an dem sie ihr wahres Ich leben können ohne verurteilt zu werden oder gar schlimmeres. Nach und nach verliert sich Flori gänzlich in dieser Schattenwelt, er verliert seine Freundin, er verliert beinahe alles, er verliert - sich. Dieses Buch hat mich unendlich berührt und ich habe mehr als einmal sehr mit Flori geweint und gelitten. Dieser völlig verlorene Junge, der er eigentlich noch immer ist, der sich eigentlich (wie wir alle) sein ganzes Leben lang nur danach sehnt geliebt zu werden, gesehen zu werden, von seinen Eltern, von einem Mann, von der Welt! hat sehr sehr viel mit mir gemacht und den werde ich auch noch lange mit mir herumtragen im Kopf. Mein Herbstbuch 2023!
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