"Thérèse und Isabelle" war ursprünglich Teil des 1955 erschienen Romans Ravages; dieser Teil wurde jedoch zensiert, weil der Text als zu skandalös galt. 1966 erschien "Thérèse et Isabelle" als eigenständiges Werk, jedoch ebenfalls in gekürzter Form. Erst im Jahr 2000 veröffentlichte der Verlag Gallimard die Originalversion, die nun auch auf Deutsch vorliegt.
Darin erzählt die 17jährige Thérèse von ihren ersten erotischen Erfahrungen mit ihrer Mitschülerin Isabelle in einem Mädcheninternat. Die Schlafnischen der Beiden liegen im großen Schlafsaal direkt nebeneinander, nur durch einen Vorhang von einander getrennt. Komm und lies in meinem Zimmer, fordert Isabelle Thérèse eines Abends auf, doch gelesen wird an diesem Abend nicht mehr.
Ihre Lippen wanderten über meine Lippen – Blütenblätter wischten den Staub von mir. Mein Herz war zu laut, ich wollte diesem zarten Siegel lauschen, dieser neuartigen Berührung.
Von diesem Abend an geraten die beiden Schülerinnen in einen Strudel der Leidenschaft; sie sind nahezu besessen von dem Verlangen, einander so nah zu sein wie möglich, und fürchten sich zugleich davor, einander zu verlieren. Die Gedanken von Thérèse kreisen fast nur noch um Isabelle und die Nächte, die sie miteinander verbringen. Stets begleitet sie dabei die Angst, entdeckt zu werden.
In Violette Leducs Stil vermischen sich eine an Metaphern reiche Poetik und der überschwängliche Pathos einer jugendlichen Liebe mit detaillierten Beschreibungen von Körperlichkeit.
"Ich werde tun, was du möchtest", sagte ich. Ich leckte. Isabelle, die auf dem Kissen kniete, zitterte wie ich. Dass mein glühendes Gesicht, mein Mund von ihrem Gesicht, ihrem Mund getrennt sein musste! Mein Schweiß, mein Speichel, die Enge, meine Lage als Galeerensklavin, seit ich sie liebte ohne Atempause zur Lust verdammt – das alles betörte mich.
Was damals als zu skandalös für eine Veröffentlichung galt, ist für heutige Leser*innen sicher nicht mehr so schockierend. Ungewöhnlich ist Leducs Stil jedoch allemal.