Beschreibung
"Liebeserklärung" ist der erste Roman des Bachmann-Preisträgers Michael Lentz. Er erzählt die Geschichte einer Trennung, einer neuen Liebe und einer winterlichen Reise durch Deutschland, das ein Land im Abschwung ist - oder gilt das nur für den mit seiner Liebe verzweifelt kämpfenden? Grenzüberschreitend offen und unerschrocken ungerecht, so laut, dass die leisen Töne wieder hörbar werden, erklärt Michael Lentz seine Liebe und geht aufs Ganze. Diese "Liebeserklärung" ist ein unerhörtes, zudringliches, schamloses, hasserfülltes, zärtliches Buch über das Rätsel und die Ratlosigkeit, das Verwunden und das Verwundern, über Grausamkeit und Glück, über das große Thema der Literatur und des Lebens: die Liebe, es ist eine kompromisslose Erzählung und eine Zumutung in einem so bisher nie gehörten emotionalen und erotischen Ton. Diese Liebeserklärung vergisst man nicht.
Autorenportrait
Michael Lentz, 1964 in Düren geboren, lebt in Berlin. Autor, Musiker, Herausgeber. Zuletzt erschienen: 'Warum wir also hier sind' (Theaterstück), 'Offene Unruh' (Gedichte), die Essay- und Aufsatzsammlung 'Textleben', die Frankfurter Poetikvorlesungen 'Atmen Ordnung Abgrund', 'Schattenfroh. Ein Requiem' (Roman) sowie 'Innehaben. Schattenfroh und die Bilder', alle bei S. FISCHER und bei FISCHER Taschenbuch.Literaturpreise u. a. Literaturförderpreis des Freistaates Bayern 1999 Aufenthaltstipendium Villa Aurora in Santa Monica, Kalifornien/USA 2001 IngeborgBachmannPreis 2001 Preis der Literaturhäuser 2005 WalterHasencleverLiteraturpreis 2012
Leseprobe
Michael Lentz Liebeserklärung Leseprobe Diese deutsche Regenlandschaft. Eine heruntergekommene, eine Deutsche Bahn. Grenzenlose Verspätung. Zwei Stunden Sinnlosigkeit an Frankfurter Gleisen. Erfurt enthauptet, Weimar wie nie gewesen. 'Gibst du mir noch einen Kuss?', und warum der Kuss plötzlich so feucht ist, warum deine Zunge so zügellos in meinen Mund drängt, du reckst mir deinen Schoß entgegen, deinen warmen, geliebten Schoß. Und warum die Küsse plötzlich so ununterbrochen sind, dein Schoß so fordernd. Und du mir in die Hose langst, undsoweiter. Unsere Schöße, die füreinander gemacht sind. Ganz einfach. Gab es eine Zeit, da wir nicht zusammen waren, fragst du. Und unsere Schöße klüger sind als unser wildgewordener, fassungsloser Mund, der eine Dummheit an die andere reiht, der sich erbricht, entbindet. Unser Mund liegt zwischen uns, und wir schauen ihm zu. Fragend. Dass du seit längerem nicht mehr von Liebe sprichst, fiel mir auf, sagte ich dir. Eine fast diskrete Zurückhaltung ist deine Hinwendung. Ich habe dich also so erschreckt, drohte, zu packen und abzuhauen hier, wo ich doch nicht mal alles ausgepackt habe, seit Monaten steht das Zeugs im Keller rum, geschichtet, gestapelt, anfallsartig kündigte ich meine Flucht an, das passt nicht, sagte ich, deine Freunde passen auch nicht, nichts passt, ich passe hier nicht hin, habe ich gesagt, so erschrocken, dass du selbst schmale Abwandlungen, Andeutungen nicht über die Lippen bringst. Großheringen. Stell man sich mal vor. Güldengossa, Großpösna. Stell man sich auch mal vor. Liebe ist doch nicht das Zusammenklappen von Faltplänen. Was aber eine Posse ist, sagt der alte Däne, und die Liebe ist auch eine Posse. 'Gute Nacht, und erhole dich gut', sagst du schroff, 'du stehst eine Stunde früher auf, terrorisiere mich nicht', fügst du an. Was ist denn da passiert? Meinst du, morgen früh bumsen wir mal nicht, wolltest du das sagen? Wer bist du? Irgendwann fängt halt alles wieder von vorne an. 'Da habe ich gedacht, es geht nicht mit uns', fängst du an. 'Warum hast du das gedacht?' 'Als du sagtest, du wollest mal mit ihm reden, ob er uns nicht seinen Stellplatz im Hof geben könne, schließlich habe er eine Erlaubnis und könne auch auf der Straße parken.' 'Und da hast du gedacht, es geht doch nicht mit uns.' 'Ich dachte, es steht dir nicht zu, ihn zu fragen. Ihn so zu fragen, dachte ich, steht dir nicht zu.' 'Weil du die Hausherrin bist.' 'Weil er schon viel länger hier ist.' 'Und wo ist das Problem?' 'Das ist eine mentale Differenz, zwischen dir und mir.' 'Da gibt es aber noch viel gewichtigere, fundamentalere.' 'Und dann das mit dem Telefon.' 'Was war denn mit dem Telefon?' 'Dass du sagtest, du wüsstest eigentlich nicht, wofür du das zahlen solltest.' 'Ich sagte, ich zahle das, auch wenn ich doch erstaunt bin, das Ding mit dem bloßen Betätigen einer Taste von heute auf morgen außer Gefecht gesetzt zu haben.' 'All die Jahre funktionierte es tadellos.' 'Und du willst sagen, dann komme ich, und nichts geht mehr.' 'Plötzlich fallen die Geräte aus.' 'Aha.' 'Ob wir zusammenpassen.' 'Wird sich noch zeigen.' 'Ja.' 'Und diese beiden Nichtvorkommnisse stürzen dich in tiefe Zweifel.' Neigetechnik. Kurz vor Leipzig mit jahrelanger Verspätung. Deutschland ist zu spät. Ein sich selbst überlebt habender Kasten. Tarifrunde. Helfershelfer. Reformmotor abgewürgt. Die Deutsche Bahn ist das endgültige Ende des deutschen Wirtschaftswunders. Seit Monaten haben wir die Seuche, sagt der Herr Schaffner. Kein Ankommen. Fahre ich weg von dir, fahre ich oft auf dich zu. Du bist die Ferne, so nah du auch sein magst. In der Nähe die Ferne, die Fremde. Zu leben ist nur eine komplexere Art, tot zu sein, heißt es in der Kunst. Ist das das 'Prinzip Grausamkeit'? Ein resistentes Misstrauen habe ich gepflanzt. Und du bist fern, und fern bist du, wenn ich in dir bin. Und Nähe ist nur in der Ferne. Ist das so? Ist da nicht auch eine umhüllende Vertrautheit, ein Aufgehobensein, ein Schulteranlehnen, Ausheulen, Los
Schlagzeile
"Wie deine Lippen schmecken. Und was du mir zu sagen hast. 'Du fehlst mir. Immer.' Und dass du das nicht immer sagst.">