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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783552053854
Sprache: Deutsch
Umfang: 224 S.
Format (T/L/B): 2.7 x 20.8 x 13 cm
Einband: Leinen

Beschreibung

Wien, vor dem Ersten Weltkrieg: Eine rätselhafte Todesserie erschüttert die Gesellschaft. War es Selbstmord? Oder Mord? Kaum beachtete Nebensächlichkeiten verdichten sich allmählich zu Indizien gegen den Ich-Erzähler des Romans, dem der Ehrenkodex seines Standes nur noch den Weg des Selbstmordes offen zu lassen scheint. "Leo Perutz ist der größte magische Realist unserer Sprache, ein Virtuose des Rätsels." (Daniel Kehlmann) Ein meisterhaft konstruierter Blick in die Abgründe Wiens vor den letzten Tagen der Menschheit.

Autorenportrait

Homepage von Hans-Harald Müller

Leseprobe

Vorwort statt eines Nachworts Meine Arbeit ist beendet. Ich habe die Ereignisse des Herbstes 1909 niedergeschrieben, jene Folge tragischer Begebenheiten, mit der ich auf so sonderbare Art verknüpft gewesen bin. Ich habe die volle Wahrheit geschrieben. Nichts übergangen, nichts unterdrückt - wozu auch? Ich habe keinen Anlaß, irgend etwas zu verheimlichen. - Während des Schreibens machte ich die Entdeckung, daß mein Gedächtnis eine Unzahl Einzelheiten - zum Teil recht unwichtige Dinge: Gespräche, kleine Vorfälle des Tages - lebendig und deutlich bewahrt hat; daß sich jedoch in mir von der Länge des Zeitraums, in dem sich das alles abgespielt hat, eine ganz falsche Vorstellung herausgebildet hat. Noch jetzt habe ich den Eindruck, als wären es mehrere Wochen gewesen. Das ist ein Irrtum. Das Datum des Tages, an dem mich Doktor Gorski zum Quartettspiel in die Villa Bischoff mitnahm, weiß ich genau: Es war der 26. September des Jahres 1909, ein Sonntag. Das ganze Panorama dieses Tages steht mir noch heute vor Augen: Die Morgenpost hatte mir einen Brief aus Norwegen gebracht, ich versuchte den Poststempel zu entziffern und dachte dabei an die Studentin, die auf der Fahrt über den Stavanger Fjord meine Nachbarin gewesen war. Sie hatte ja versprochen, mir zu schreiben. Ich öffnete den Brief, aber er enthielt nur den Prospekt eines Wintersporthotels auf dem Hardanger Gletscher. Enttäuschung. - Später ging ich in den Fechtklub, auf dem Wege, in der Florianigasse, überraschte mich ein Platzregen, ich trat in ein Haustor und entdeckte einen alten, verwilderten Garten mit einem steinernen Barockbrunnen, und eine alte Dame sprach mich an und fragte, ob in diesem Haus nicht eine Putzmacherin Namens Kreutzer wohne. Das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen. Dann hörte der Regen auf, und es kam schönes Wetter. Als einen Tag mit warmem Wind und wolkenlosem Himmel, so hab' ich den 26. September 1909 in Erinnerung. Mittags speiste ich mit zwei Regimentskameraden in einem Gartenrestaurant. Die Morgenblätter las ich erst nach Tisch. Sie enthielten Aufsätze über die Balkanfrage und über die Politik der Jungtürken - es ist erstaunlich, wie ich das alles noch weiß. Ein leitender Artikel besprach die Reise des Königs von England, und ein anderer befaßte sich mit den Plänen des türkischen Sultans. 'Zuwartende Haltung Abdul Hamids' stand fettgedruckt über den ersten Zeilen. Die Tageschroniken brachten Einzelheiten aus Schefket Paschas und Niazi Beys Lebenslauf - wer kennt heute noch diese Namen? Auf dem Nordwestbahnhof hatte es in der Nacht ein Schadenfeuer gegeben - 'riesige Holzvorräte vernichtet' hieß es in den Blättern. Eine akademische Vereinigung kündigte eine Aufführung von Büchners 'Danton' an, in der Oper wurde die 'Götterdämmerung' gegeben, mit einem Gast aus Breslau in der Rolle des Hagen. In der Kunstschau waren Bilder von Jan Toorop und Lovis Corinth ausgestellt, und die ganze Stadt lief hin, um sie anzustaunen. Irgendwo, in Petersburg glaube ich, gab es Streik und Arbeiterunruhen, in Salzburg einen Kircheneinbruch, und aus Rom wurden Lärmszenen in der Consulta gemeldet. Ganz klein gedruckt fand ich noch eine Notiz über den Zusammenbruch des Bankhauses Bergstein. Er überraschte mich keineswegs, ich hatte ihn kommen sehen und rechtzeitig meine Depots zurückgezogen. Aber ich mußte an einen Bekannten, den Schauspieler Eugen Bischoff, denken, der sein Vermögen gleichfalls diesem Bankhause anvertraut hatte. Ich hätte ihn warnen sollen, fuhr es mir durch den Kopf. - Aber hätte er mir denn geglaubt? Er hielt mich immer für falsch informiert. Wozu sich in fremde Angelegenheiten mischen? - Und zugleich fiel mir ein Gespräch ein, das ich einige Tage zuvor mit dem Intendanten der Hoftheater geführt hatte. Die Rede war auf Eugen Bischoff gekommen - 'der Mann wird alt, leider, ich kann ihm nicht helfen', hatte der Intendant gesagt und ein paar Bemerkungen über das Drängen des Nachwuchses hinzugefügt. Wenn mein Eindruck richtig war, Leseprobe