Beschreibung
Axel Honneth erhebt in "Das Recht der Freiheit" den Anspruch einer sozialphilosophischen Synthese aus normativer Gerechtigkeitstheorie und empirischer Gesellschaftsanalyse. Seine zentrale These lautet, dass die Idee der Freiheit - und zwar im Sinne der individuellen Chancen auf kooperative Selbstverwirklichung - im Zentrum des Wertesystems der modernen westlichen Gesellschaften steht. Die Beiträger dieses Bandes setzten sich kritisch mit Axel Honneths Freiheitstheorie auseinander. Mit Beiträgen von Helge Dedek, Hans Diefenbacher, Josef Früchtl, Christoph Halbig, Christoph Henning, Cornelia Klinger, Wolfgang Knöbl, Georg Lohmann, Enno Rudolph, Rolf Schieder, Dieter Thomä, Patrick Wöhrle - und mit einer Replik von Axel Honneth.
Autorenportrait
Magnus Schlette ist Referent für Philosophie an der FEST in Heidelberg und Privatdozent für Philosophie an der Universität Erfurt.
Leseprobe
Vorwort Der vorliegende Band geht zurück auf einen Workshop an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), dessen Teilnehmer sich aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven mit der Gesamtarchitektonik und den verschiedenen Themenfeldern der Freiheitstheorie in Axel Honneths Das Recht der Freiheit. Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit auseinandergesetzt haben. Die Leitfrage der Veranstaltung, die in den Beiträgen umkreist wurde, lautete: "Ist Selbstverwirklichung institutionalisierbar?" Sie sollte schlagwortartig die Folgefragen anregen, wenn ja, wie Freiheit institutionalisierbar ist und ob Freiheitsvollzüge der Selbstverwirklichung in ihren möglichen sozialen Institutionalisierungen aufgehen. - Diese Fragen stehen wiederum in dem weiteren Zusammenhang einer Problematisierung des Spannungsverhältnisses zwischen Individualisierung und Vergesellschaftung des menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses in der Moderne: Wie verhalten sich die institutionellen Sphären dieses Spannungsverhältnisses zueinander? Sind sie in Axel Honneths Freiheitstheorie mit den Sphären der persönlichen Beziehungen, des Marktes und der politischen Öffentlichkeit erschöpfend erfasst? Sind diese angemessen begriffen? Wie lässt sich Axel Honneths Projekt einer normativen Rekonstruktion des modernen Freiheitsverständnisses zu den Forschungen im Horizont des Konzepts der multiple modernities in Beziehung setzen? - Axel Honneths Freiheitstheorie beabsichtigt eine Reaktualisierung von Hegels Konzept des allgemeinen freien Willens, verortet sich darüber hinaus aber auch in einer langen Problemgeschichte der Relationierung von Moralität und Sittlichkeit und steht in einer ideengeschichtlichen Fernbeziehung zu einer Vielzahl von Gesprächspartnern der Sozialphilosophie von Thomas Hobbes bis Charles Taylor. Die für die Publikation überarbeiteten und teilweise deutlich erweiterten Beiträge des Workshops wurden in diesen Band aufgenommen und um eine Reihe weiterer Aufsätze ergänzt. Das Buch führt Autoren unterschiedlicher Disziplinen - von der Philosophie über die Soziologie, die Wirtschafts- und Rechtswissenschaften bis zur Theologie - zusammen, die sich entweder gezielt mit einzelnen theoretischen Aspekten oder Interpretamenten der Honneth'schen Freiheitstheorie befassen oder aber im Ausgang von den in Das Recht der Freiheit entwickelten Fragestellungen eigene freiheitstheoretische Ansätze vorstellen. Die Anthologie schließt mit einer ausführlichen Erwiderung Axel Honneths auf eine Reihe kritischer Anfragen, die in den vorangegangenen Aufsätzen an sein Werk gestellt wurden. Ich möchte mich an dieser Stelle beim Campus Verlag dafür bedanken, dass er den Band in sein Programm aufgenommen hat, und insbesondere der Lektorin Dr. Isabell Trommer für die Betreuung des Projekts von Seiten des Campus Verlags. Ferner danke ich Dr. Ermylia Aichmalotidou für die Erstellung der Druckfassung des Manuskripts. Der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft gebührt Dank für einen Druckkostenzuschuss. Vor allem und daher ganz zuletzt danke ich aber den Autoren für ihr Engagement und Axel Honneth für seine Bereitschaft, die kritische Auseinandersetzung mit seiner Freiheitstheorie zu erwidern. So mag dieser Band auch als Anregung zur Fortsetzung des Gesprächs dienen. Heidelberg, 1. Februar 2018 Magnus Schlette Selbstverwirklichung in Axel Honneths Freiheitstheorie: Eine Einleitung Magnus Schlette Axel Honneth erhebt mit Das Recht der Freiheit. Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit den Anspruch einer sozialphilosophischen Synthese aus normativer Gerechtigkeitstheorie und empirischer Gesellschaftsanalyse. Die begrifflichen und theoriearchitektonischen Grundlagen dieses Projekts beruhen auf Honneths Aktualisierung der Hegelschen Rechtsphilosophie, deren Umrisse er vor etwa fünfzehn Jahren in Leiden an Unbestimmtheit skizziert und im Recht der Freiheit zu einer umfassenden Rekonstruktion der fundamentalen Wertorientierung moderner westlicher Gesellschaften und ihrer sozialen Institutionalisierung in den verschiedenen Rechtssphären der Gesellschaft ausgezogen hat. Honneths zentrale These lautet, dass die Idee der Freiheit das Zentrum des Wertesystems der modernen westlichen Gesellschaften bildet. Aber anders als Hegel, der den Freiheitsbegriff metaphysisch an die Entwicklungsgeschichte des Geistes bindet, begreift Honneth Freiheit postmetaphysisch im Sinne individueller Chancen auf kooperative Selbstverwirklichung. Dass Honneth der Idee der Freiheit diese Schlüsselbedeutung im Selbstverständnis der westlichen Moderne zubilligt, heißt nicht weniger als dass sie eine Kultur fundiert, in welcher der Anspruch der Individuen, sich selbst zu verwirklichen, zu einer Art zweiter Natur geworden ist: zu einer Art objektiver zweiter Natur, insofern die sozialen Kerninstitutionen Verkörperungen dieser Idee sind; zu einer Art subjektiver zweiter Natur, insofern die Individuen einen Bildungsprozess durchlaufen, in dessen Verlauf sie in die besagten Institutionen einsozialisiert werden und sich mit den in ihnen verkörperten Werten zu identifizieren lernen. Honneth ist ferner davon überzeugt, dass der begriffliche Gehalt der fraglichen Idee den zwanglosen Zwang einer objektiven, kontexttranszendierenden Vernunft ausübe. Entsprechend soll Das Recht der Freiheit die Idee der Freiheit ebenso in der Geschichtlichkeit ihrer Entwicklung wie in der kontexttranszendierenden Normativität ihres Gehalts ausweisen können. Dieses Verfahren bezeichnet Honneth als "normative Rekonstruktion". Es besagt einerseits, die Entwicklung der sozialen Institutionen im Hinblick darauf darzustellen, welchen Beitrag sie zur Einrichtung von Verhältnissen leisten, die es den Menschen ermöglichen, sich selbst zu verwirklichen. Andererseits zielt die normative Rekonstruktion darauf ab zu prüfen, wie weit die besagten Verhältnisse der in den Institutionen verkörperten Vernunft entsprechen oder hinter dem Institutionenpotential zurückbleiben. Ist Selbstverwirklichung institutionalisierbar? Der Titel dieser Sammlung von kritischen Beiträgen zu Axel Honneths Freiheitstheorie ist von einem Aufsatz Helmuth Schelskys aus den fünfziger Jahren inspiriert. Schelsky stellte sich in "Ist die Dauerreflexion institutionalisierbar?" am Beispiel religiöser Organisationen und Kommunikationsformen der Frage, ob die Problematisierung sozialer Institutionen durch die "dauerreflektierte[] Subjektivität" deren Grundbestand zwangsläufig gefährde. Mit damals ausdrücklicher Wendung gegen Gehlens Institutionentheorie bestand Schelsky darauf, dass Institutionen sich wandeln, um die "selbst- und fremdkommunikative[] Dauerwachheit und -helligkeit des Bewußtseins", die "hellwache Selbstbewegung moderner menschlicher Innerlichkeit und Subjektivität" in sich aufzunehmen, als soziales Verhaltensmuster zu normalisieren und ihr in stabilisierten Formen der Kommunikation eine "Hintergrunderfüllung" zu ermöglichen. Schelskys Einsprache für einen Begriff flexibler Institutionen scheint mit Honneths ebenfalls forciert gegen Gehlen gewandter anerkennungstheoretischer Interpretation des hegelschen Institutionenbegriffs grundsätzlich den Anspruch zu teilen, das gesellschaftliche Allgemeine begrifflich als vereinbar mit der wachsenden Individualisierungsdynamik der Moderne zu konzipieren. Aber während es Schelsky in der Nachfolge Gehlens wesentlich um die Belastbarkeit der Institutionen durch die sich frei artikulierende Subjektivität ging, fragt Honneth nach dem Entwicklungs- und Entfaltungspotential, das die sittlichen Institutionen der sich frei artikulierenden Subjektivität bereithalten. Seine Perspektive ist daher derjenigen Gehlens und Schelskys entgegengesetzt, sein Anspruch geht deutlich weiter. Aus der Orientierung an Hegels Theorie der Sittlichkeit in der Rechtsphilosophie, deren Aufbau und Argumentationslogik von Honneth in ihren Grundzügen übernommen wird, ergibt sich die Erwartung, die Individualisierungsdynamik der Mode...