Beschreibung
Das Mittelalter an der Schwelle zur Neuzeit: Bauern begehren gegen ihre Grundherren auf, die Kirche schürt den Hexenwahn, der Klimawandel führt zu Hungersnöten und Überschwemmungen. Inmitten dieser unruhigen Zeiten erwächst eine zarte Liebesbeziehung zwischen dem jungen Jakob, Sohn eines leibeigenen Bauern, und Begina, Novizin eines Klosters. Doch ihre Wege trennen sich allzu bald, denn Jakob wird für die Narrenschule auserwählt. Erst Jahre später begegnen sie sich in der Stadt wieder, wo Jakob inzwischen als Stadtnarr lebt. Als der Heilerin, deren Gehilfin Begina geworden ist, ein Hexenprozess droht und Jakob zum Hofnarren des Königs berufen wird, scheint es keine Zukunft mehr für die zwei zu geben. Doch dann nehmen die Narren das Heft des Geschehens selbst in die Hand und die Ereignisse überschlagen sich. Nie zuvor war das Leben so von Spannungen, Gegensätzen und Umwälzungen geprägt wie im 15. Jahrhundert - kurz vor Erfindung des Buchdrucks und der Entdeckung der neuen Welt. Die Geschichte von Jakob und Begina führt die Leser*innen mitten hinein in ein pralles Panorama dieser Zeit, da man noch an Dämonen und Zauberei glaubte und die wahre Liebe sich ihr Recht erkämpfen musste.
Autorenportrait
Karsten Flohr war Tageszeitungsredakteur beim Hamburger Abendblatt, bevor er für verschiedene Zeitschriften tätig wurde. 2012 erschien sein erster Roman "Zeiten der Hoffnung". 2015 wurde im acabus Verlag "Leah", die Geschichte einer jüdisch-arischen Liebe während der Nazi-Zeit, veröffentlicht. Weitere Romane (u.a. "Die neun Tage des Ekels" und "Hotel Savoy") folgten. Karsten Flohr lebt und arbeitet in Hamburg.
Leseprobe
Nun will ich Euch die Geschichte erzählen von Jakob dem Narren, der ein ganzes Königreich ins Wanken brachte und von dem es heißt, es habe ihn nie gegeben, ihn nicht und seine Geschichte auch nicht. Die solches behaupten, haben entweder ihre Gründe, oder es gebricht ihnen an Fantasie, um sich die Ungeheuerlichkeiten vorzustellen, die sich vor nun bald 50 Jahren zugetragen haben, nämlich um das Jahr des Herren 1450. Und zwar eben hier, an den Ufern des Rheins, hinter der Mauern der Burg, die scheinbar so unverwundbar in den Himmel ragt, und hinter den Toren der Stadt, von wo aus unser aller Geschicke gelenkt werden. Ich will beide Orte nicht beim Namen nennen, um keinen Unschuldigen, der in die Geschehnisse verwickelt war, zu desavouieren. Ich will aber doch so wahrheitsgetreu und ehrlich berichten, wie es die Ereignisse verdienen. Denn vieles lässt sich lernen aus dem, was damals geschah, vieles, was noch nie zu Gehör gebracht, weil die Edlen nicht immer die Edlen und die Niederen nicht immer die Niederen sind. Also dann worauf noch warten? Doch halt, verzeiht, eines noch vorweg: Woher ich das alles weiß und wer ich überhaupt bin? Nun, der geneigte Leser wird es beizeiten erfahren, wenn er genügend Aufmerksamkeit walten lässt und nicht der Ungeduld Opfer wird, die ja eine der neuen Todsünden unserer Zeit ist, sondern artig wartet, bis ich mich offenbare und ihm zu erkennen gebe. Jakob war wohl eben 15 Jahre alt, noch weit entfernt davon, ein Narr zu sein oder gar einer, der ein ganzes Reich aus den Angeln zu heben vermag, als er im Wald saß, an den Stamm eines Schlehenbaumes gelehnt und seine Nase tief in ein Buch steckte. Wie - ein Bauernjunge, der lesen kann? Gemach! Dazu später mehr. Was er da also aus einer losen Blättersammlung - ein Buch konnte man es nicht nennen - mühsam entzifferte, waren die ersten Worte der berühmtesten aller berühmten Ritter-Geschichten, nämlich die von Erec dem Unbesiegbaren1, der jedoch leider vor lauter Minne vergaß, dass er ein Krieger war und so zum Gespött der Ritterschaft des ganzen Landes wurde. Aber halt: So weit war Jakob noch nicht vorgedrungen, er lernte an diesem Tag den Tapfersten der Tapferen gerade erst kennen! Am Ostertag, so las er, zur Wiederkehr der schönen Jahreszeit, hielt König Artus in seinem Schloß Cardigan Hof; nie zuvor hatte man eine so herrliche Versammlung gesehen, denn viele treffliche Ritter waren dort vereinigt, unter ihnen auch Erec - kühn, immer zum Kampf bereit und stolz, sowie edle Damen und Jungfrauen, Königstöchter, schön und liebenswürdig. Ehe der Hof sich auflöste, erklärte der König seinen Rittern, er wolle den weißen Hirsch jagen, um die Sitte wiederzubeleben. Jakob hob den Kopf, als er ein Knacken im Unterholz vernahm, und nachdem sein Blick sich geschärft hatte, stand scheinbar zum Greifen nah vor ihm ein Hirsch, mit zitternden Nüstern Witterung aufnehmend. Wieder das Knacken im nahen Gestrüpp - und der Hirsch war mit drei mächtigen Sätzen verschwunden und gab den Blick frei auf einen gebeugten, zerlumpten Alten, der in der Hand einen Korb hielt und Jakob entsetzt anstarrte. 'Ich bin es nur', sagte Jakob, der wusste, dass der Alte kaum noch sehen konnte, 'brauchst dich um deine Beeren nicht zu sorgen, niemand wird davon erfahren, dass du sie dem Herrn gestohlen hast.' Der Alte trat heran und blieb auf seinen Stecken gestützt dicht vor Jakob stehen. Der musste all seine Beherrschung aufbringen, um wegen des strengen Geruchs, den der Alte verströmte, nicht das Gesicht zu verziehen. 'Reiche Ernte?', fragte Jakob und deutete auf den Korb mit den Blaubeeren. Der Alte grummelte etwas, erwiderte: 'Und du?', und zeigte dabei mit krummem Finger auf das Säckchen, das neben Jakob im Gras lag, 'Schlehenzweige? Für den Gevatter?' Sein trüber Blick wanderte den Stamm des Busches empor, den Jakob zuvor abgeerntet hatte. Jakob nickte. 'So haben wir denn beide unser Geheimnis, oder?', entgegnete er. 'Und so soll es auch bleiben', murmelte der Alte und setzte sic