Beschreibung
Die Stadt gilt als Schauplatz der Moderne. Modernisierung und Urbanisierung, heißt es, gehen Hand in Hand. Aber stimmt das für alle Städte? Gibt es nicht verschiedene Geschwindigkeiten der Runderneuerung und Ungleichzeitigkeiten zwischen der Entwicklung von Kultur und Infrastruktur, Lebenswelt und Gesellschaft zumal dann, wenn nach der sinnlichen Wahrnehmung und künstlerischen Vermittlung dieser Entwicklung gefragt wird? Anhand von London und Lübeck, Paris, Berlin und Wien sowie anhand von Texten, die zwischen der Mitte des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden, liefern die sechs Beiträge zu diesem Band einander wechselseitig ergänzende Antworten. Berücksichtigung finden aber auch die Stadtfotografie und Georg Brandes Überlegungen zum Nationalismus-Diskurs im Spannungsfeld von Moderne und Antimoderne.
Autorenportrait
Matthias Bauer ist seit 2008 Professor für Neuere Literaturwissenschaft an der Europa-Universität Flensburg. Er studierte an der Johannes Gutenberg-Universität zu Mainz Germanistik, Publizistik und Geschichte und wurde dort 1992 mit einer rezeptionsästhetisch orientierten Dissertation zur Entwicklungsgeschichte des Schelmenromans, Im Fuchsbau der Geschichten (Stuttgart 1993), promoviert. Seine Habilitationsschrift Schwerkraft und Leichtsinn (Freiburg 2005) geht den kreativen Zeichenhandlungen im intermediären Feld von Literatur und Wissenschaft nach. Zusammen mit Christoph Ernst veröffentlichte er 2010 Diagrammatik; 2015 kam seine Monografie über Michelangelo Antonioni. Bild Projektion Wirklichkeit heraus.
Leseprobe
Textprobe:Stadt-Parcours und Stadt-Diskurs oder: Mit Fontane durch London:Unter der polemischen Überschrift Voyeure oder Fußgänger hat Michel de Certeau den distanzierten Blick von einem Hochhaus herab auf eine Großstadt jener Art der praktischen Aneignung des urbanen Raumes gegenübergestellt, die auf dem Boden, zwischen den Häuserreihen, auf den Straßen und Plätzen stattfindet. Wenn der Körper dieser Praxis enthoben wird, stelle sich ein theoretisches Trugbild ein, also ein Bild, das nur durch ein Vergessen und Verkennen der praktischen Vorgänge zustandekommt. Indem er dieses Trugbild in den Projektionen der Stadtplaner und Kartographen ausmacht und gegen die Erfahrung der Fußgänger ausspielt, deren Körper dem mehr oder weniger deutlichen Schriftbild eines städtischen Textes folgen, den sie schreiben, ohne ihn zu lesen, steckt de Certeau ein Spannungsfeld zwischen zwei Polen ab, die man auch als Diskurs und Parcours beschreiben kann, wobei der Diskurs eine strukturelle Nähe zum kartographischen Verfahren, der Parcours hingegen zu einer kinematographischen Wahrnehmung aufweist:Dem kartographischen Verfahren der abstrakten Vermessung von Städten und Landschaften, dem eine ikarische Sicht auf die Welt entspricht, steht, so gesehen, eine umsichtige Erkundungsbewegung gegenüber, die sich an den hodologischen Raum der begehbaren Wege sowie an die Sichtachsen und Blickwinkel hält, die diese Wege ebenso eröffnen wie Begegnungen, die weit über das Visuelle hinausgehen und die gesamte Sinnesfülle der leibhaftigen Erfahrung umfassen können. Das kartographische Verfahren ist, performativ wie effektiv betrachtet, diskursiv. Es erfordert ein beständiges, wenn auch rein intellektuelles Hin- und Herlaufen zwischen dem buchstäblich zu ver-zeichnendem Territorium, und dem zu erstellenden Tafelbild und erzeugt mittels ausgeklügelter Techniken wie der Triangulation schematische Vorstellungen, die nicht auf konkrete Einzelheiten, sondern, wie alle symbolischen Medien, auf allgemein-typische Züge fokussieren. Der kartographische Blick auf die Welt ist somit Ausdruck einer theoretischen Einstellung, der es um eine allgemeine Übersicht, nicht aber um das Ortsspezifische geht. Demgegenüber nimmt die Erkundungsbewegung eines Menschen, der durch ein Gelände läuft, dabei den Kopf nach allen Seiten dreht und die Schwerkraft ebenso spürt wie die umgebende, jeweils besondere Atmosphäre, statt der Verlaufsform eines von allen Spezifika abstrahierenden Diskurses die Verlaufsform eines Parcours an, der sich auf das Konkrete kapriziert, das fragmentarisch oder elliptisch erfahren wird. Nicht alles an der Umgebung erheischt Aufmerksamkeit oder tritt gar mit einem Aufforderungscharakter auf dafür aber realisiert der Wahrnehmende ausschnitthaft zugleich die Eigenart bestimmter Details und die ihrer räumlichen Verdichtung. Tendenziell hält sich der Parcours daher an die ästhetische Maxime von Albert Camus: Die Auslegung ist vergänglich, aber der sinnliche Eindruck bleibt und mit ihm die unaufhörlichen Anrufe eines quantitativ unerschöpflichen Universums. Hier, begreift man, liegt der Ort des Kunstwerks. Der letzte Satz markiert einen Zielpunkt, den gewiss nicht jeder Parcours erreicht, ja nicht einmal anstrebt. Aber das ändert nichts daran, dass ein jeglicher Parcours prinzipiell das Potential besitzt, im Sinne Michel de Certeaus wahrhaftig zu einer Kunst des Handelns zu werden. Insofern die Kunst vom Begehen und Betrachten, Erkunden und Erfahren zum Beschreiben und Verdichten, Umgestalten und Überformen voranschreitet, aktualisiert sie dieses Potenzial, nimmt der Handlungsvollzug eine artistische Wende, die zugleich politische Relevanz beanspruchen kann. Unter dieser Voraussetzung soll im Folgenden erkundet werden, wie Theodor Fontane einen Diskurs über London führt und wie sich dieser Diskurs streckenweise in einen Parcours durch London verwandelt, wie eine von Vergleichen und Urteilen durchsetzte Beschreibung dieser Stadt zu einem Kunstwerk potenziert wird. Fontane überführt das Unterwegssein in eine literarische Erfahrung, die selbst jenen Leserinnen und Lesern, die noch nicht vor Ort waren, einen sinnlichen Eindruck von dem verschafft, was für diesen Ort spezifisch ist. Diskurs und Parcours stehen einander dabei nicht in einer starren Entweder Oder-Relation gegenüber; vielmehr involviert die literarische Stadterkundung beide Modi der Darstellung: das erklärende Besprechen, dass zwischen Benennung und Erörterung hin und her läuft und die Re-Aktualisierung einer Bewegungsform, die dynamische Vorstellungen erzeugt, deren Akzent auf der Vergegenwärtigung lokalspezifischer (Bewegungs-)Momente liegt.Fontane hielt sich dreimal in London auf. 1844 besuchte er die Stadt an der Themse zum ersten Mal für wenige Tage als Tourist. Diesen kurzen Aufenthalt schildert er aus großer zeitlicher Distanz in Von Zwanzig bis Dreißig, nach Meine Kinderjahre dem zweiten, 1896 publizierten Teil seiner Memoiren. Bevor Fontane von 1855 bis 1859 in der Metropole des britischen Empire lebte, verbrachte er dort auch den Sommer 1952. Sowohl bei diesem zweiten, längeren als auch beim dritten, ausgedehnten Aufenthalt versuchte er sich unter schwierigen Bedingungen letztlich erfolglos als Korrespondent zu etablieren. Literarische Ausbeute seines zweiten London-Aufenthaltes bilden das Buch Ein Sommer in London (Erstausgabe 1857) und die Artikelserie Von der Weltstadt Straßen. Beide Texte können als Überlagerung von Stadtdiskurs und -parcours gelesen werden: sie setzen mit realistischen Beschreibungen und Erklärungen ein, enthalten Vergleiche und Urteile, nehmen aber auch mittels öffentlicher Verkehrsmittel Fahrt auf und verleihen der Ortserkundung auf diese Weise eine Verlaufsform, die man avant la lettre als kinematographisch bezeichnen kann, weil sie einen Prospekt von Bewegungsbildern ergeben. Veranschaulicht werden Bewegungen, die sich vor den Augen des Erzählers abspielen, und Bewegungen, die er als shifting view point zu Fuß, mittels Pferde-Omnibus oder Schiff vollzieht.
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