Rund-um-die-Uhr-Überwachung, von außen geplanter, strikter Tagesablauf, räumliche Trennung, Nachrichtensperre, ungerechte Aufteilung der Ressourcen, Ausbeutung...klingt nicht nach Utopie, klingt nicht nach Libertarismus. Und doch fußt die „Seestatt“ auf dem Konzept der Unabhängigkeit von staatlicher Kontrolle, der Selbstversorgung und Freiheit des Individuums als höchstem Gut. Die Realität von Yada, der Tochter des Gründers der Enklave in der Ostsee, sieht jedoch heftig dystopisch aus. Während Helena durch Berlin treibt, denkt Yada die Welt sei untergegangen, würde brennen, wäre unbewohnbar, Helena tot. Yada beschließt zu fliehen. Eine Gesellschaft formt sich durch ihre Individuen. Individuen, die an einer Gesellschaftsform kranken. Der Wunsch nach Utopie eingeschränkt durch den Egoismus des Einzelnen, gepaart mit der Suche des Individuums nach Gemeinschaft. Theresia Enzensberger hat für mich das Buch des Jahres geschrieben, Entwicklungsroman, Utopieforschungstext, Kommentar zur Kunstszene und mehr. Ich bin begeistert von der Verzweigung der Perspektiven der Protagonistinnen und dem genreübergreifenden Schreiben der Autorin. Und was für ein geniales Cover!