Hawaii, 1995:
Schon in der Nacht, in der Nainoa auf der Ladefläche eines Pickup-Trucks gezeugt wird sehen seine Eltern plötzlich überall auf den Hügeln um sie herum Fackeln, die scheinbar in der Luft schweben und sich langsam über die Hügelketten bewegen. Panisch verlassen die beiden den Strand denn ihnen ist sofort klar: hier handelt es sich um "Nachtwanderer", eine alte hawaiianische Sage über die Geister toter Krieger, die nachts mit Fackeln und Chanten über die Insel ziehen und alte Schlachtfelder besuchen. Sieht man sie an, stirbt man und ist verflucht, auf alle Zeit mit ihnen über die Insel zu marschieren.
7 Jahre später:
Die Zuckerrohrplantage ist abgeerntet und Nainoas Familie, zu der neben dem 7jährigen seine Mutter Malia, sein Vater Lolo, sein älterer Bruder Dean und seine jüngere Schwester Kaui gehören, leben von Gelegenheitsjobs und der Hand in den Mund. Sie beschließen daher, in die nächstgrößere Stadt umzuziehen, wo leichter Arbeit zu finden ist. Zum Abschied ist noch ein Ausflug mit dem Glasbodenboot geplant, bei dem das Unfassbare geschieht: Nainoa fällt ins Wasser und verschwindet unter Wasser. Die verzweifelte Malia springt sofort hinterher und versucht, ihn zu erreichen als sie plötzlich sieht, wie unter ihr ein Schwarm Haie vorbei zieht, genau auf die Stelle zu, an der Noa verschwunden ist. Völlig im Schock und unfähig, sich zu bewegen kann sie nur beobachten, wie die Haie weiter abtauchen, wenden und direkt auf sie zu halten. Der größte Hai, augenscheinlich der Anführer des Schwarms taucht auf - im Maul einen offensichtlich komplett unversehrten Noa, den er behutsam der Mutter in die Arme legt.
Nun ist der Mythos geboren, jede*r Hawaiianer*in kennt Nainoas Geschichte und ihm werden wahre Wunderkräfte zugeschrieben. Heilssuchende aller Art pilgern zum Haus der Familie, in der Hoffnung, von Noa Erlösung zu erlangen. Obwohl Noas Eltern diesen Mythos sehr befürworten und fördern (nicht zuletzt wegen der zahllosen Spenden, die die Familie aufgrund dessen erhält) drohen Noas Geschwister daran fast zu zerbrechen: sämtliche Aufmerksamkeit gilt dem (auch akademisch) hochbegabten Bruder, für sie, die zunächst keine besonderen Talente aufweisen, bleibt nicht viel übrig, was sich vor allem bei Dean in Wut und Gewalt manifestiert.
2007/2008:
Alle 3 Geschwister sind mittlerweile von Hawaii aufs amerikanische Festland gezogen und gehen dort auf verschiedene Colleges. Wechselweise erfahren wir jeweils aus der Sicht eines der Geschwister von deren alltäglichen, größeren und kleineren, Kämpfen im Alltag. Dean versucht, mittels eines Basketballstipendiums der Armut seiner Kindheit zu entfliehen, Kaui, sich im Ingeneurstudium gegen die Dominanz ihrer männlichen Kommilitonen zu wehren. Und Noa, der immer noch über mysteriöse Heilkräfte verfügt, verzweifelt daran, dass er nicht die ganze Welt retten kann.
Wie schon in der Überschrift erwähnt ist "Haie in Zeiten von Erlösern" mein Buch des Jahres 2022. Selten habe ich ein so starkes Debüt gelesen wie das von Kawai Strong Washburn! Selbst an der Hakmakua-Küste von Big Island, Hawaii, geboren und seit seinem Studium auf dem Festland lebend schafft er es meisterhaft, die besondere Geschichte und Atmosphäre Hawaiis, die Mythen, Sagen und auch den Aberglauben unter den Bewohnern der Insel einzufangen und an die Leser*innen zu vermitteln. Auch wenn alle 3 Geschwister (und auch die Eltern, die jedoch im 2. Teil des Buches zunehmend in den Hintergrund treten) ihre sehr unsympathischen Momente mit sich bringen verfolgt man ihrer jeweiligen Geschichte doch mit größter Hoffnung, dass sie am Ende noch ihre Art von Glück erfahren.
Bitte sehr schnell noch sehr viel mehr von diesem Autor!!!!