Die Schlesenburg im Jahr 89: Eine westdeutsche Hochhaussiedlung, welche Zentrum und Namensträger dieses großartigen Romans ist. Erzählt wird der Roman aus den Augen des noch jungen Protagonisten, dessen Kindheit in dieser Siedlung liegt. Nachdem die Eltern aus Polen geflüchtet sind, treffen sie an diesem Ort auf Menschen eines ähnlichen Schicksals und führen ein Leben, welches die Herkunft so weit wie möglich hinter sich lassen möchte. Hass und Rassismus schwingen nicht nur oberflächlich in der Geschichte mit, immer wieder tragen sich Szenen der Ausgrenzungen zu, immer wieder werden Vorurteile ausgeteilt und Rollen festgelegt. Jede Figur der Schlesenburg trägt so viel Charakter in die Geschichte hinein und zu der bunten Dynamik bei. In all ihren Unterschieden und Eigenheiten entwickeln die Bewohner:innen der Schlesenburg ihre ganz eigene Sprache und kreieren eine Form der Verbundenheit, welche weit über die Buchseiten hinaus geht.
"Kommst du raus?"
"Raus oder runter?"
Und auch die Erfahrungen der Familie - des jungen Protagonisten, der Mutter, des Vaters und, wenn sie denn dann schon auf der Welt war, von Klein Hanna - werden immer wieder erzählt, sodass aus jeder Geschichte ein kleines Kammerspiel entsteht, in welchem ganz viel Detail und Liebe steckt. Humor spielt auf jeder Seite mit, ist aber mehr als Situationskomik gelesen oder eine Nebenrolle und dient manchmal eher als Mittel zum Zweck, als Überwältigungsstrategie. Nicht jede Handlung ist an die vorangegangene geknüpft, manchmal streunen die Kinder draußen auf den Feldern umher, tümmeln sich im Freibad. Schicksalsschläge treffen ein und lassen in der kindlichen Aufbruchsstimmung eines Spiels nicht von der Ernsthaftigkeit ablenken. Manchmal döst die Familie auf dem Balkon und schafft es auch im eigentlichen Nichtstun eine Leichtigkeit und Freude aufkommen zu lassen, welche sie sich aus eigener Kraft nach dem Verlassen der Heimat wieder aufgebaut haben. So schlängelt sich die Handlung durch die Siedlung. Wie zu einem Spaziergang wurde ich an die Hand genommen, durfte durch die Wände hindurch in die Leben der Familien blicken, habe in der Sommerhitze etwas pausiert, und in dieser Ruhe bemerkt, wie die Tiefe des Romans auf mich einbricht.